Sozialsenator Detlef Scheele: Mann ohne Moneten

Er ist höflich und interessiert, aber versprechen will er nichts: Ein Gespräch mit Sozialsenator Detlef Scheele über Wohnungslosigkeit, die Wahlversprechen der SPD und den klammen Hamburger Haushalt.

(aus Hinz&Kunzt 219/Mai 2011)

Das Büro im zehnten Stock riecht nach Farbe, die Wände sind kahl, einsam steht ein Staubfänger mit Panda-Motiv auf einem Regal, aber auch das ist nichts Persönliches. Den hat einer der Amtsvorgänger geschenkt bekommen. Dann kommt der neue Sozialsenator herein: Detlef Scheele, ohne Jackett, mit Dreitagebart. Wie ein Marathonläufer wirkt der 54-Jährige. Gerade kommt er von einer Besprechung mit seinen Arbeitsmarktexperten, und als wir uns eine dreiviertel Stunde später verabschieden, sitzen schon die nächsten Besucher vor der Tür. Alle wollen etwas von ihm. Wir auch. Höflich und freundlich ist er, interessiert an der Sache, wenn er auch zugibt, bei vielem keine Fachkenntnisse zu haben. Auch von unserer Materie nicht. „Mit Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit habe ich bis jetzt beruflich nichts zu tun gehabt.“
219-ScheeleMomentan ist das für ihn auch nicht so wichtig. Denn er hat seine Fachleute, und wenn es etwas zu entscheiden gibt, dann sitzen sie bei ihm am Tisch, „nicht nur die Abteilungsleiter und die Unterabteilungsleiter, sondern auch die, die die Arbeit wirklich machen. Ich habe schließlich die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen“, sagt er. Damit seine Mitarbeiter auch wirklich Zugang zu ihm haben, hat er als Erstes das Schloss im 10. Stock so programmieren lassen, dass die Kollegen mit ihren Chipkarten überhaupt reinkommen. Das zum Thema Führungsstil. So haben Olaf Scholz und er das schon in Berlin gehalten, wo Scholz Bundesarbeitsminister war und Scheele sein Staatssekretär.
Uns geht es erst mal darum zu klären, ob das Thema Wohnungslosigkeit ein Herzensanliegen des neuen Sozialsenators ist. Eine Frage, die für uns von zentraler Bedeutung ist – zumal eine Woche später das Winternotprogramm endet.
„Der Sozialsenator ist klassischerweise dafür zuständig, dass der Senat sich daran ausrichtet, dass die Spaltung der Stadt möglichst nicht weitergeht, möglichst sogar zurückgeführt wird“, sagt Scheele verhalten. „Wer, wenn nicht der Sozialsenator, sollte es sich auf die Schultern laden, da die Koordinierung zu übernehmen.“
Und er hat sogar eine gute Nachricht für uns: Die Behörde wird ein Jahr lang die Kosten für einen polnischen Sozialarbeiter tragen, der bislang von der Stadtmission, dem Spendenparlament und uns bezahlt wird. Mal abgesehen davon, dass Scheele Mitgefühl mit den Obdachlosen aus Polen hat, „deren Pläne, hier ein neues Leben anzufangen, gründlich schiefgegangen sind“, gibt es hier eine klare Kosten-Nutzen-Rechnung: Der polnische Kollege hat binnen weniger Wochen schon rund 50 Menschen in ihre Heimat zurückgeführt.
Mitgefühl hat Scheele zwar auch mit den mehr als 1000 Obdachlosen, die seit Ende des Winternotprogramms wieder auf der Straße sind, oder mit den Tausenden, die monate- und jahrelang in städtischen Unterkünften leben. Aber eine derartige Kosten-Nutzen-Rechnung lässt sich in der Wohnungslosenpolitik so schnell nicht aufmachen. „Ich teile Ihre Auffassung, dass sich Investitionen in Menschen in Zukunft auszahlen, aber wir müssen zumindest ungefähr wissen, wann sich welche Maßnahme tatsächlich auch finanzwirksam niederschlägt“, sagt er. „Wir brauchen eine harte Refinanzierungsrechnung, nicht eine mit Hoffnung.“ Es nützt auch nichts, den Sozialsenator darauf hinzuweisen, dass seine Parteigenossen im Herbst 2010 ein wunderbares Papier in die Bürgerschaft eingebracht haben, wie Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Hamburg kurz-, mittel- und langfristig überwunden werden können. Sie haben sich dabei stark an München orientiert (siehe Info unten) und die Münchner Rechnung ist ja aufgegangen.
Scheele hofft maßgeblich auf den Neubau von 6000 Wohnungen jährlich, „auch wenn die nicht für Menschen sind, die jetzt auf der Straße leben. Aber das wird Druck vom Wohnungsmarkt nehmen und sukzessive dazu führen, Wohnungslose wieder einzugliedern.“
Der SPD-Antrag wurde im Herbst von der regierenden CDU-GAL-Fraktion abgelehnt. Und man spürt auch Scheeles Unbehagen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen. „Große Würfe wird es nicht geben“, sagt er. „Aber ich kann Ihnen zusichern, dass wir sukzessive versuchen werden, die Situation von Zielgruppen, die besonders benachteiligt sind, zu verbessern  – in kleinen Schritten.“
Die Worte „kleine Schritte“ und „sukzessive“ machen uns etwas nervös. Kleine Schritte sind sinnvoll, wenn man eine Gesamtplanung hat, wenn man weiß, wo man morgen, in vier und in zehn Jahren stehen will. Wir sind deshalb froh, dass Detlef Scheele unseren Vorschlag aufnimmt: Noch vor der Sommerpause will er sich mit den Genossen, die den Antrag erarbeitet haben, und mit Experten im Haus zusammensetzen. Allerdings warnt er uns davor, zu hohe Erwartungen zu haben. Stattdessen hebt er zu einer kleinen Rede an: „Wir müssen die jährliche Netto-Neuverschuldung bis 2020 auf null haben. Und das ist keine Idee von Herrn Scholz oder Herrn Scheele, sondern das ist Verfassung. Wenn man das bis dahin nicht geschafft hat, dann findet 2020 der Kahlschlag statt.“ Eindringlich fügt er hinzu: „Ich habe drei Kinder, und ich möchte unter keinen Umständen, dass die nicht die gleichen Spielräume in der Politik haben, wie wir sie heute noch haben.“ Immer wieder sagt er solche Sätze wie: „Ich bin kein Ankündigungsminister“ oder „Ich mache keine Wolken­ku­ckucks­­heim-Nummer.“
Klar ist: Er ist angetreten, um Scholz’ Wahlversprechen umzusetzen. „Weil Parteien angesichts des Frustes der Wahlbevölkerung gut beraten sind, genau das zu tun, was sie vor der Wahl versprochen haben.“ Und dann zählt er auf: die Rücknahme der Kitagebühren, die Rücknahme der Kita-Gebühren für behinderte Kinder, der Hortanspruch bis zum 14. Lebensjahr. „Das kostet 45 Millionen, die wir nicht haben.“ Und die Wissenschaftssenatorin stehe in der Pflicht, die Studiengebühren abzuschaffen. „Diese Wahlversprechen führen dazu, dass wir in vielen wünschenswerten Sachen nicht schnell und nicht umfassend werden helfen können.“ Im Gegenteil müsse man eher aufpassen, „dass die Standards nicht weiter sinken“. Kleine Pause. „Der Hamburger Haushalt hat keine Möglichkeit, wo er Geld herholen kann.“
Natürlich geht es bei dem Gespräch auch um die Ein-Euro-Jobs. Es ist nichts Neues: Der Bund kürzt die Mittel in diesem Jahr von 187 auf 134 Millionen, im kommenden Jahr auf rund 100 Millionen Euro. Wie kann Hamburg die fehlenden Millionen des Bundes auffangen? „Gar nicht“, sagt Scheele. Heute Morgen erst, so sagt er, hätten er und seine Arbeitsmarktexperten vereinbart, bis zum Ende der Sommerpause ein neues Arbeitsmarktprogramm vorzulegen.
„Wir können einen Dialog über die öffentlichen Mittel führen, dazu lade ich alle ein“, sagt er, „aber ich kann den Mangel nicht abschaffen.“ Der Dialog mit uns, so verspricht er, wird im Sommer weitergeführt, wenn er mit seinen Experten und den Genossen gesprochen hat. Der Dialog mit Trägern der Ein-Euro-Jobs geht dafür gründlich daneben. Ein paar Tage nach unserem Gespräch muss er den ersten Eklat überstehen: Er wolle die Zahl der Ein-Euro-Jobs, die zu Jahresbeginn von 9800 auf 6600 heruntergesetzt worden waren, noch einmal und „ohne Not“ um etwa 2600 kürzen, schreibt das Abendblatt und zitiert die Vertreterin einer Trägergesellschaft: „Dabei hätte das Geld in diesem Jahr für 6600 Ein-Euro-Jobs ausgereicht.“ Am Nachmittag desselben Tages das Dementi. Eine Entscheidung dazu sei noch nicht gefallen. Und er lasse sich bei der Neukonzeption von einem namhaften Institut beraten: „Dabei lassen wir uns leiten von den Zukunftschancen der Langzeitarbeitslosen.“
Verkehrte Welt: Schließlich war es die SPD, die die Hartz-IV-Reform erfunden hat und mit ihr die Ein-Euro-Jobs. Und die diese immer sinnvoll fand, obwohl die meisten keine Perspektive boten. Gesetzlich ging es nie um Perspektiven, sondern um einen Arbeitsanreiz und darum, den Hilfeempfängern, die nicht mitmachten, die Bezüge zu kürzen. Scheele selbst hat damals als Geschäftsführer der Hamburger Arbeit jährlich 10.000 Hartz-IV-Bezieher in Ein-Euro-Jobs vermittelt. Die Financial Times hatte ihn einmal als „Schröders Mann“ bezeichnet. Die freien Träger wiederum hatten fehlende Perspektiven und die Sanktionen immer scharf kritisiert. Aber inzwischen haben sie sich mit den Gegebenheiten arrangiert und versucht, die bestmöglichen Projekte aus dem Boden zu stampfen. Jetzt, wo das Geld knapp wird, kritisiert ausgerechnet ein SPD-Sozialsenator die fehlenden Zukunftschancen. Und die Träger schreien auf, weil sie befürchten, jetzt sogar diese unzulänglichen Maßnahmen zu verlieren.
Noch hat Scheele Zeit, ein Programm für Langzeitarbeitslose vorzulegen und die Träger ins Boot zu holen. Was die anderen sozial Benachteiligten angeht, wissen wir erst mehr, wenn der Haushalt vorliegt. Dann wird deutlich, ob die Wahlversprechen nur auf dem Rücken anderer Benachteiligter umgesetzt werden können. Und dann wird es hart – nicht nur für die Betroffenen, auch für den Sozialsenator.
Text: Birgit Müller
Foto: Maurice Kohl


Der SPD-Antrag ist stark orientiert am Münchner Erfolgsmodell: Die Wohnungswirtschaft muss ausreichend Wohnungen bereitstellen.
Zu ihrer Absicherung können soziale Träger als Zwischenmieter auftreten. Außerdem: Zur Klärung der Wohnperspektive Einrichtungen wie Clearinghäuser schaffen, die öffentliche Unterbringung kurzfristig ausbauen und den Wohnstandard verbessern. Personelle Aufstockung aller Einrichtungen zur schnelleren Vermittlung. Denn: Nichts ist teurer als die Notprogramme, so die Münchner Erfahrung.