Der Zwangsräumer

Zwei Mal im Monat rückt Olaf Schmalbein aus, um Menschen aus ihrer Wohnung zu werfen. In den 90ern musste der Gerichtsvollzieher vom Amtsgericht Berlin-Mitte sogar noch bis zu fünf Mal im Monat los. Das ist belastend – für die Zwangsgeräumten wie für den 51-jährigen Gerichtsvollzieher.

(aus Hinz&Kunzt 241/März 2013)

Olaf Schmalbein ist seit 1992 Gerichtsvollzieher – und fühlt sich auch als Sozialarbeiter.
Olaf Schmalbein ist seit 1992 Gerichtsvollzieher – und fühlt sich auch als Sozialarbeiter.

Hinz&Kunzt: Wie werden Sie bei einer Zwangsräumung in der Regel empfangen?
Olaf Schmalbein: Meistens sind die Wohnungen verlassen und komplett geräumt, teilweise werden sie in einem schlimmen Zustand zurückgelassen. Ganz selten treffe ich jemanden an. Meistens sind es Leute, die schon mit dem Rücken zur Wand stehen und ­einen Punkt erreicht haben, an dem sie sich selbst nicht mehr helfen können.

H&K: Und dann kommen Sie und nehmen ihnen die Wohnung weg. Haben Sie da kein schlechtes Gewissen?
Schmalbein: Wir sind auch nur Menschen und das belastet einen schon. Man muss einen Schutzmechanismus aufbauen, sonst kann man den Job nicht machen. Für mich ist es beruhigend, wenn ich bei einer Räumung niemanden antreffe.

H&K: Und wenn doch, erleben Sie da Dinge, die Sie nicht vergessen können?
Schmalbein: Einmal habe ich einen Schuldner auf der Straße vor seiner Wohnung getroffen. Er hat mir gleich den Schlüssel übergeben und wollte auch nicht mehr mit hineinkommen. Die Wohnung sah so aus, als ob er gerade aufgestanden und zur Arbeit gegangen wäre. Der wollte einfach nichts mehr sehen, nichts mehr hören, gar nichts. Ich habe auch schon mal jemanden gefunden, der sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Der wollte sich das Leben nehmen, alles war voll Blut. So was passiert. Daran habe ich schwer zu knabbern.

H&K: War es für Sie auch schon mal gefährlich?
Schmalbein: Sie kommen da hin, und jeder wird anders mit der Situation fertig. Der eine ist ganz ruhig, andere werden aggressiv. Ein Schuldner hatte mal den Gashahn aufgedreht: Ein Funke hätte gereicht, und wir wären mitsamt der Hütte in die Luft geflogen. Ein Kollege wurde sogar schon mal bei einer Zwangsräumung niedergestochen. In solche Situationen kann man durchaus kommen. Räumungen sind eine massive Belastung, oft für alle Beteiligten.

H&K: Was machen Sie denn gerne in Ihrem Job?
Schmalbein: Wenn ich einen Schuldner nach zwei Jahren wieder treffe und er ist schuldenfrei, dann ist das für mich ein Erfolg. Man ist als Gerichtsvollzieher auch Sozialarbeiter.

H&K: Haben Sie ein Beispiel?
Schmalbein: Ich erinnere mich an eine Familie, die richtig Probleme hatte. Die Wohnung stand kurz davor, geräumt zu werden. Ich habe es geschafft, dass sie zu einer Beratung ging und sich helfen ließ. Ihre Probleme hat sie dann in den Griff bekommen und die Räumung konnte abgewendet werden.

H&K: In Kreuzberg haben Hunderte Menschen versucht, eine Zwangsräumung zu blockieren. Was halten Sie davon?
Schmalbein: Ich bezweifle, dass solche Blockaden im Interesse des Schuldners sind. Ich würde einfach gehen und zwei Tage später wiederkommen. Dann räume ich, ohne dass 100 Leute vor der Tür sitzen. Dem Schuldner ist mit so was nicht geholfen.

H&K: Mit solchen Aktionen wollen die Menschen aber helfen. Sie halten solche Räumungen für moralisch nicht gerechtfertigt.
Schmalbein: Natürlich kann man moralisch etwas gegen eine Räumung haben. Aber rein juristisch ist es ja in der Regel vollkommen korrekt. Es gibt meistens einen Eigentümer, der mit seinem Eigentum etwas machen möchte. Ob das gut oder schlecht ist, habe ich nicht zu bewerten. Ich kann ja keinen rechtsfreien Raum schaffen.

H&K: Als Gerichtsvollzieher setzen Sie Gesetze um. Gesetze können aber auch mal ungerecht sein.
Schmalbein: Gesetze zu bewerten steht mir als Gerichtsvollzieher nicht zu. Ich habe aber Probleme damit, wenn ich Forderungen auf den Schreibtisch bekomme, die ungerecht sind. Zum Beispiel, wenn alte Menschen bei einer Butterfahrt über den Tisch gezogen wurden und viel Geld für ein paar blöde Heiz­decken bezahlen sollen. Aber was soll ich machen?

Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante