Momentaufnahme : „Das wird schon!“

Stefan, 21, verkauft bald in Geesthacht.

(aus Hinz&Kunzt 234/ August 2012)

Für Stefan beginnt im August ein NEUES LEBEN. Dann zieht er in eine eigene Wohnung.

„Das erste Mal fühlt sich irgendwie komisch an“, sagt Stefan. „Man kommt sich einsam vor.“ Sein erstes Mal war im Juni 2010 in der Nähe von Cuxhaven. Da hat der heute 21-Jährige zum ersten Mal auf der Straße geschlafen – „Platte gemacht“, wie er sagt, zwei Wochen lang. Seitdem schlägt er sich so durch: Mal schläft er bei Freunden, mal in Ob- dachlosenunterkünften, nur selten unter freiem Himmel. Seit Monaten sucht er eine Wohnung in Hamburg.

Auf den ersten Blick ist Stefan ein gemütlicher Typ, aber gemütlich war sein Leben selten: Seine Geschichte ist auch eine Geschichte der Gewalt. Als Kind kassierte er oft Prügel von seinem Vater, wenn der betrunken war. Seine Mutter sah Stefan das letzte Mal, als er drei Wochen alt war. Dann kam sie in die Psychiatrie, erzählte man ihm. „Mein Vater ist ein Scheißalkoholiker und Frauenschläger“, sagt Stefan bitter. Mit dem Alkohol hat er inzwischen zwar selber schlechte Erfahrungen ge- macht, aber Frauen schlagen? Da empört er sich. Obwohl auch er kein Kind von Traurigkeit ist: „Ich war in der Schule immer der, der am dollsten zugeschlagen hat“, gibt Stefan zu. „Das war ein Fehler“, räumt er ein. Ein Fehler, für den er mit 13 im Heim landete, weil seine Stiefmutter mit seinem Verhalten überfordert war. „Kein Wunder“, findet Stefan heute. Im Heim lernte er, seine Aggressionen halbwegs in den Griff zu bekommen, machte seinen Realschulabschluss. Eine Ausbildung zum Erzieher brach er ab, weil er mit dem Stress in der Berufsschule nicht klar kam. Danach meldete er sich arbeitslos.

Wohnungslos wurde Stefan wegen einer Krankschreibung, die er angeblich bei seinem Arbeitgeber nicht abgegeben haben soll. Er bestreitet das, trotzdem verlor er wegen dieses Vorwurfes seinen Ein-Euro-Job. Dann ging alles ganz schnell: Die Arbeitsagentur strich Stefan das Geld, er konnte die Miete nicht mehr bezahlen: „Das wollte mein Vermieter nicht mitmachen.“ Nach einem Monat, am 6. Juni 2010, hat der ihn vor die Tür gesetzt, das Schloss ausgetauscht – „eiskalt“, findet das Stefan. Seitdem hat er keine feste Bleibe mehr.

Im Frühjahr holte ihn seine Neigung zur Gewalt wieder ein. „Wenn man mich verarschen will, raste ich aus“, sagt Stefan. Als ihm in der Ob- dachlosenunterkunft Pik As jemand den Alkohol wegnehmen wollte, trat er eine Tür ein, ging auf die Mitarbeiter los. Dass das ein Fehler war, weiß Stefan. Jetzt versucht er, weniger zu trinken. „Seitdem trinke ich Koffein“, scherzt er.

Stefan ist trotz aller Hochs und Tiefs optimistisch geblieben. „März und April liefen eigentlich ganz gut“, erzählt er. Es kam noch besser: Im Juli hat er eine Wohnung gefunden! Zwar nicht in Hamburg, aber in Geesthacht. Dort will er ab 15. August tagsüber Hinz&Kunzt verkaufen und abends Bewerbungen schreiben: Er möchte endlich eine Berufsausbildung im Büro- oder Kfz- Bereich beginnen. Im Moment ist Stefan zuversichtlich: „Bei Hinz&Kunzt bin ich wieder auf die Beine gekommen.“

HINZ&KUNZT: Wer imponiert dir?
STEFAN: Früher Michael Schumacher, aber der macht’s leider nur noch fürs Geld. Heute imponiert mir die Band Linkin Park, weil die sich von niemandem reinreden lässt und ihr Ding durch zieht.

H&K: Wie willst du in fünf Jahren leben?
STEFAN: In einer größeren Wohnung mit einer Frau an meiner Seite, einem guten Job und einem Hund.

Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante