Fotoreportage : Das leise Sterben der Bienen

Der Anbau von genmanipuliertem Soja und der Einsatz von bestimmten Pestiziden bringt den Produzenten Geld. Aber das Ökosystem wird dadurch zerstört – und Menschen werden krank. Ein Reisebericht von Mauricio Bustamante.

(aus Hinz&Kunzt 247/September 2013)

Als die Bienen verschwanden, waren Hugo Aguirre und die anderen Imker erst ratlos.  Die Spur führte schließlich in die Soja-Felder.
Als die Bienen verschwanden, waren Hugo Aguirre und die anderen Imker erst ratlos. Die Spur führte schließlich in die Soja-Felder.

„Willkommen in meinem Paradies“, sagt Doktor Hugo Aguirre, während er das Törchen zu seinem Grundstück öffnet: zwei Hektar Glück. Hier hat der Arzt seinen Garten, seine Pflanzen und seine Bienenstöcke. Aguirre ist eigentlich Chirurg und Geburtshelfer. Seine Berufung aber ist es, Bienen zu therapieren.

Vor 30 Jahren, so erzählt er mir, habe er das Gelände gekauft. Es war damals total verwildert und es gab keine Wege. „Also bin ich mit der Axt rein, damit ich überhaupt aufs Gelände kam“, sagt der 61-Jährige. „Heute ist es mein Paradies auf Erden, hier kann ich mich vollkommen meinen Bienen widmen, sie züchten, heilen und aussortieren, um sie später auf die Felder zu bringen.“ Der Ort, an dem ich ihn treffe, heißt San Guillermo. Es ist ein Dorf mit 10.000 Einwohnern in der Provinz Santa Fé, im Herzen von Argentinien. Immer war es eine reiche und fruchtbare Gegend. Aber seit ein paar Jahren ist das Paradies von Hugo Aguirre ernsthaft in Gefahr.

Die Bienen waren einfach verschwunden. Das ist sehr ungewöhnlich. Denn eigentlich haben sie einen inneren Flugplan. „Und diesen inneren Flugplan hat das gesamte Bienenvolk. Um die Quelle des Nektars zu finden, fliegen sie immer durch denselben Luftkorridor, immer denselben Weg – hin und zurück“, erläutert Aguirre. Dass also Bienen ihre normalen Flugrouten verlassen, ist deshalb so gut wie ausgeschlossen. Trotzdem: Die Bienen waren weg. Das Unheimlichste: Es wurden nicht einmal Bienenkadaver gefunden.

In den Soja-Feldern fanden die Imker Bienenkadaver

Aber nicht nur Aguirre, der auch Vizepräsident der argentinischen Gesellschaft der Bienenzüchter ist, vermisste seine Tierchen, sondern auch andere Bienenzüchter. „Vor zwei Jahren gab es in der Provinz Santa Fé noch 450.000 Bienen­völker und 4500 Bienenzüchter“, sagt er. Inzwischen gebe es nur noch die Hälfte der Bienenvölker und 2200 Imker. Lange Zeit, so Aguirre, seien die Bienenzüchter völlig ratlos gewesen.

Eines Tages bekamen die argentinischen Bienenzüchter Kontakt zu US-amerikanischen Kollegen. Die kannten das Problem. „Schaut, was in der Gegend angepflanzt wird! Und dann sucht auf den Feldern!“ Die Spur führte in die Soja-Felder. Dort fanden die Imker die Kadaver von Bienen. Die Pestizide hatten offensichtlich ihr Nervensystem zerstört, sie hatten ihren Orientierungssinn verloren und waren verendet.

Seit Ende der 90er-Jahre wird Gensoja und Genmais angebaut. Die Umstellung auf Gensoja bedeutete für die Bauern eine Revolution, erklärt Ricardo Cesar Etienot, Agrar­ingenieur in San Guillermo. „Man muss dort, wo das Saatgut ausgebracht wird, den Boden nur leicht furchen. Man braucht weder die alten Pflanzen zu entfernen noch den Boden vorher umzugraben. Man braucht nur eine Sämaschine. Die Arbeit vereinfacht sich ungemein.“

Die Arbeit reduziert sich darauf, mit Glyphosat und anderen Chemikalien zu spritzen. Das Saatgut ist billig und wird gleich im Kombipack mit den Pestiziden gekauft. Die Gewinnmarge ist auch deshalb hoch, weil man so gut wie kein Personal braucht. Ein billiges Gesamtpaket, das sich für ­Produzent und Hersteller lohnt. Kein Wunder, dass immer mehr Produzenten nur noch Gensoja anbauen – und zwar im großen Stil.

„Man muss nicht jedes Insekt, das auftaucht, töten. Wir wollen die Plagen kontrollieren – und keine Totalvernichtung.“

Der Einsatz der Pestizide ist allerdings nicht nur für die ­Bienen gefährlich oder gar lebensbedrohend. Seit 30 Jahren in-spiziert Etienot zusammen mit den Bauern die Felder, kon­trolliert die Bodenqualität und berät sie, damit sie einen höheren Ertrag erwirtschaften. „Ich versuche die Bauern davon zu überzeugen, dass sie bewusst mit Pestiziden um­gehen“, sagt er. „Man muss nicht jedes Insekt, das auftaucht, töten. Wir wollen die Plagen kontrollieren – und keine Totalvernichtung.“

Den Kleinbauern könne er noch klarmachen, „dass auch Insekten wichtig sind, um die Artenvielfalt zu erhalten, sofern sie die Ernte nicht zu sehr beeinträchtigen.“ Aber die Großproduzenten erreiche er nur über Mail oder Telefon. „Dabei sind sie diejenigen, bei denen es wirklich eine Rolle spielt. Und ausgerechnet ihnen kommt es nur auf Effizienz und Rentabilität an.“

Inzwischen werden in so hohem Maße Pestizide eingesetzt, dass es für die Anwohner gesundheitsschädlich ist. Nach offiziellen Angaben des Argentinischen Landwirtschafts­verbandes CASAFE wurden 2012/2013 rund 317 Millionen Liter Pestizide auf die Felder gesprüht. 200 Millionen davon enthielten Glyphosat, das am häufigsten verwendete Mittel in Argentinien. (Weltweit werden derzeit 2000 Millionen Liter Glyphosat jährlich verbraucht.) Von Jahr zu Jahr geben die Produzenten mehr Geld für die Pestizide aus. In der letzten Saison waren es in Argentinien 2381 Millionen Dollar.

Ausgebracht werden die Pestizide mit einer Maschine, die „Mosquito“ genannt wird. Die Männer, die diese fahren, gehen völlig lässig mit den Giften um. Während meiner Reise sehe ich sie oft im Einsatz: Ohne Schutzkleidung sind sie ­unterwegs, und manchmal habe ich gesehen, wie sie ihre ­Maschinen am Dorfteich reinigen.

„Die Felder sind voll Soja, und die Dörfer voller Abwesenheit.“

Auf großen Feldern werden aber auch Flugzeuge eingesetzt. Einer der Piloten ist Hugo Cesar Vergnano. Seit zehn Jahren ist der 49-Jährige im Einsatz. „Da ist niemand, der dich kontrolliert, aber es gibt Regeln und Anordnungen, die man eigentlich erfüllen sollte. Wir dürfen beispielsweise nicht über Siedlungen Pestizide sprühen“, sagt er. „Aber bedauer­licherweise gibt es Piloten, die sich nicht daran halten. Es ist sehr einfach zu machen, was du willst: In der Luft sind wir alleine.“ Immerhin machen die Umweltschutzorganisationen jetzt mehr Druck. „Es wird mehr kontrolliert, und die Leute machen schon eine Anzeige, wenn sie nur eins unserer Flugzeuge am Himmel sehen“, sagt Vergnano. Die Selbstkontrolle sei deshalb schon größer geworden. „Meine Arbeit gut zu machen, bedeutet für mich, die Auflagen einzuhalten, die es in jedem Distrikt gibt.“ Diese Auflagen sind übrigens unterschiedlich: In einem Dorf müssen die Piloten 500 Meter Abstand zu den Häusern halten, im anderen zwei Kilometer. Das hört sich kompliziert an, ist aber machbar, so Vergnano.

„Heutzutage mit GPS und Google können wir problemlos sehen, bis wohin wir sprühen können“, sagt er. „Ich ­gebrauche immer den gesunden Menschenverstand. Neulich mussten wir auf einem Gelände sprühen, auf dem in 70 Meter Entfernung ein Haus stand. Wir haben die Leute angerufen und vorher informiert.“

Das hört sich gut an. Aber ich habe auch Menschen kennengelernt, die gar kein Telefon haben. Früher haben viele Ureinwohner als Tagelöhner auf den Farmen gearbeitet. Aber mit dem Soja kam die Arbeitslosigkeit. In San Cristóbal in der Provinz Santa Fé lerne ich Victor Vargas kennen. Der 50-Jährige ist Dichter und Schriftsteller. Als Chronist seiner Zeit beunruhigt ihn, wie sein Volk leben muss. „Die Felder sind voll Soja, und die Dörfer voller Abwesenheit“, sagt er.

Die Menschen, die noch da sind, sind bitterarm. Mit Brettern haben sie ihre Hütten gebaut. Es gibt weder fließend Wasser noch Elektrizität. Als Dach benutzen sie oft die alten Siloplanen von den Soja-Feldern oder die Kanister, in denen die Pestizide angeliefert werden. Alles Müll, der einfach auf den Äckern zurückgelassen wurde. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass das nicht gesund sein kann.

„Seit Mitte 2006 wurden immer mehr Kinder mit Missbildungen geboren.“

In vielen Gemeinden haben sich Nachbarschaftsvereine gegründet, weil immer mehr Menschen krank wurden. Eine davon ist die „Grupo Euge“. Sie gründete sich 2010, nach dem Tod der kleinen María Eugenia Porparatto aus Brinkmann, einem Ort in der Provinz Córdoba. „Sie war meine Patientin“, erzählt mir die Kinderärztin Alicia Rodríguez de Prato, 63. Das Kind war an Krebs erkrankt. Die Spezialisten im Krankenhaus fragten, ob das Mädchen vielleicht mit ­Umweltgiften in Berührung gekommen sei, wie sie auf dem Land benutzt werden. Tatsächlich lebte die Familie damals am Rande des Dorfes und war den Pestiziden besonders stark ausgeliefert.

„Jeden Tag sitzen bei mir Menschen im Sprechzimmer mit neuen Allergien, mit Atemwegs- oder spezifischen Hauterkrankungen – und es werden immer mehr“, sagt die Ärztin. „Was uns besonders auffällt, ist die hohe Rate an Krebserkrankungen, sie liegt deutlich über dem Durchschnitt.“ Die Ärztin ist nicht die Einzige, der das auffällt. Andere Gemeinden machen ähnliche Erfahrungen, in allen wird Gensoja angebaut mit entsprechend hohem Pestizid-Einsatz. Obwohl sich Protestgruppen gründen, die fordern, den Einsatz der Pestizide zu stoppen, geht alles weiter wie bisher.

Victor Raul López leitete zwischen 2001 und 2011 das Krankenhaus von San Cristóbal. „Seit Mitte 2006 wurden immer mehr Kinder mit Missbildungen geboren“, sagt der 59-jährige Chirurg. „Einige starben sogar.“ Die Patienten ­kamen aus ganz unterschiedlichen Schichten. „Die meisten stammten aus der Mittelklasse und ernährten sich mit Margarine, die genmanipulierte Elemente enthält.“ (Wissenschaftlich erwiesen ist das nicht!)

„Sie zerstören das ganze Ökosystem, um Futter für die Schweine in China und Europa zu produzieren.“

Und: „Wir haben auch Patienten mit Blut- und Leberkrankheiten gehabt“, sagt der Chirurg. „Die Jugendlichen ­arbeiten oft schwarz: Sie stehen mit Flaggen an den Feldern, damit die Piloten wissen, wo sie die Klappen für die Pestizide öffnen oder wieder schließen müssen. „Diese Jungen kamen mit schweren Leberschäden zu uns; sie hatten die Chemikalien eingeatmet.“ Einige dieser Felder sind nur zehn oder zwölf Meter von den Dörfern entfernt. Manchmal trennt nur ein Weg das Dorf von den Äckern.

Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist Monsanto, aber auch deutsche Firmennamen: Bayer und BASF. „Die internationalen Konzerne haben mehr Macht als die Regierung“, glaubt Alberto Pratto, Arzt und ebenfalls Mitglied der Grupo Euge. „Das Einzige, was interessiert, ist das Geld. Aber uns bringt das Soja nichts, nicht mal als Lebensmittel. Im Gegenteil: Mit dem Soja verschwinden die Nährstoffe, die Mineralien, die Bäume, die Bienen, das saubere Wasser. Sie zerstören das ganze Ökosystem, um Futter für die Schweine in China und Europa zu produzieren.“

Alles hat mit dem Verschwinden der Bienen angefangen, und mit den Bienen endet die Geschichte auch. Wenn es nicht genug Bienen gibt, wird es immer weniger Obst und Gemüse geben – und nur die Reichen werden sie sich noch leisten können, sagen Imker und Umweltschutzverbände. Die Bienen, so glaubt Hugo Aguirre, schicken uns eine Botschaft. „Sie erinnern uns an unsere Dummheit“, sagt der Bienenzüchter und Arzt. „Wir wissen, dass die Insekten unverzichtbar sind für den Erhalt der Menschheit, aber seit Jahrzehnten sprühen wir mit Hingabe Pestizide.“ Im Schatten eines Jahrhunderte alten Johannisbrotbaums zitiert Aguirre einen Gedanken von ­Albert Einstein: „Wenn die Bienen von der Erde verschwinden, kann der Mensch nur noch vier Jahre überleben.“

Übersetzung: Birgit Müller