Noch mal davongekommen

Wie eine Behindertengruppe wegen Ein-Euro-Jobbern fast die Arbeit verloren hätte

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Sie sammeln Müll, harken Laub und legen Wege an im Stadtpark: 20 behinderte Menschen aus den Winterhuder Werkstätten. Seit vielen Jahren machen sie das. Doch plötzlich sind sie zu teuer, das Bezirksamt Nord will sparen. Sind die Ein-Euro-Jobber schuld?

German Pump hat einen feinen Sinn für Ironie. „Wir haben erfolgreich ein Minus ausgehandelt“, sagt der Abteilungsleiter vom Landesbetrieb Winterhuder Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WWB). Vor wenigen Tagen erst hat er den Vertrag mit dem Bezirksamt Nord in trockene Tücher gebracht. Statt 72.000 Euro jährlich bekommen die Werkstätten künftig nur noch 40.000 Euro dafür, dass sie täglich mit einer 20 Mann starken Gartengruppe im Stadtpark unterwegs sind. „Wir haben Glück gehabt“, meint der 47-Jährige, zwischenzeitlich habe er befürchtet, den Auftrag ganz zu verlieren.

Angefangen hat alles Ende Januar, so Pump. Das Gartenbauamt habe signalisiert, die Behinderten gerne weiter beschäftigen zu wollen – „doch für sehr viel weniger Geld“. In den Gesprächen sei auf die Sparvorgaben des Senats und die Verpflichtung verwiesen worden, Angebote mehrerer Anbieter einholen und das günstigste wählen zu müssen. „Die Konkurrenz waren Beschäftigungsträger mit ihren Ein-Euro-Jobbern“, glaubt Pump nach Recherchen. Das Bezirksamt Nord bestreitet einen direkten Zusammenhang: „Es gab kein Konkurrenzangebot zu den Tätigkeiten der WWB im Stadtpark“, erklärt Sprecher Peter Hansen. Seit mehr als zehn Jahren arbeite der Bezirk mit den Werkstätten „gut nachbarschaftlich“ zusammen: „Wir sind begeistert von der Einsatzfreude und Ausstrahlung dieser Menschen.“

Doch räumt der Bezirksamts-Sprecher ein: „Durch die Ausweitung der Ein-Euro-Jobs werden bisherige Maßnahmen natürlich in einem anderen Licht gesehen.“ Den Bezirken liege derzeit eine Behördenanfrage vor, inwieweit sie sich Beschäftigungsfelder für Ein-Euro-Jobber vorstellen können. Und da schon die Stadt Sozialhilfeempfänger gemeinnützig arbeiten ließ, haben die preiswerten Arbeitslosen die Gartenbauabteilungen längst erreicht. Im Bezirk Nord, so Hansen, sind derzeit 35 Ein-Euro-Kräfte in den Grünanlagen unterwegs. Betreut werden sie von Beschäftigungsträgern, „eigene Ein-Euro-Kräfte haben wir nicht mehr.“ Derweil gehen feste Arbeitsplätze verloren: 15 der vormals 100 Arbeiter-Stellen sparte der Bezirk in den vergangenen fünf Jahren im Grünbereich ein.

Laut Winterhuder Werkstätten soll ein Beschäftigungsträger angeboten haben, die Tätigkeiten der Behindertengruppe für 20.000 Euro jährlich zu übernehmen. Erst nach Appellen an die moralische Verpflichtung des Bezirks, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, hätten die WWB den Zuschlag bekommen. Die wollen die Löhne der behinderten Mitarbeiter trotz der finanziellen Einbußen nicht kürzen. Doch bei der berufsbegleitenden Qualifizierung zum Beispiel werde man wohl sparen müssen. Geschäftsführer Wolfgang Pritsching: „Wenn es zu einem Verdrängungskampf zwischen Gruppen benachteiligter Menschen kommt und diese sich gegenseitig im Preis nach unten drücken, ist das bitter.“

Ulrich Jonas

Wie hält’s Hinz&Kunzt mit den Ein-Euro-Jobbern?
Nach all der kritischen Berichterstattung über die Ein-Euro-Jobs fragen Sie sich jetzt sicher, wie wir es bei Hinz&Kunzt damit halten. Wir sind genau in der gleichen Bredouille wie andere soziale Projekte auch: wenig Geld und viel zu tun.

An unserem Kaffeetresen im Vertrieb haben bislang einige Hinz&Künztler gejobbt. Andreas – wie die meisten – für lau, und Frank wurde für zehn Stunden bezahlt. Jetzt bekommen beide 1 Euro pro Stunde und dürfen 30 Stunden bezahlt arbeiten. Die Arbeit ist zusätzlich, und es wird auch niemandem sein Arbeitsplatz weggenommen. Im Gegenteil: Unbezahlte Arbeit wird jetzt besser bezahlt. Aber was passiert nach zehn Monaten? Geld, die beiden fest anzustellen, haben wir bislang nicht…

Ein richtiger Problemfall: Im Sekretariat bräuchten wir dringend eine 20-Stunden-Kraft, das Geld hätten wir vor der Einführung des Ein-Euro-Programms ausgeben müssen. Jetzt sieht die Sache anders aus: Wir könnten auf Kosten eines potenziellen Arbeitnehmers sparen und eine Ein-Euro-Kraft beschäftigen. Ein echtes Dilemma, das wir derzeit heiß diskutieren.

Birgit Müller

Ein Überlebender

Der ehemalige Häftling Fritz Bringmann über Leiden, Widerstand und Solidarität im KZ Neuengamme

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Er ist 87, und sein Lebenswerk hält ihn immer noch unter Dampf. Fritz Bringmann, ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Neuengamme, will die Erinnerung wach halten. Ein großes Ziel haben er und die wenigen noch lebenden Ehemaligen jetzt erreicht: Der Knast verschwindet vom KZ-Gelände.

Hart, pragmatisch, charmant

Innensenator Udo Nagel über den Tod eines Hinz&Kunzt-Verkäufers, das Miteinander in der City und das neue Polizeigesetz

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Heiße Reifen und Container

Am Stettiner Ufer werden Waren aus aller Welt umgeschlagen

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Die Lastwagen scheinen direkt in den Himmel zu fahren. Ihre nie endende Prozession führt grollend die Köhlbrandbrücke hinauf, um den Freihafen erst unter, dann hinter sich zu lassen. Im Schatten der Brücke, wo die Straße Stettiner Ufer am Travehafen entlangführt, versteckt sich eine kleine Imbissbude. „Zum heißen Reifen“ heißt sie, und drinnen klingt das Dröhnen der Lastwagen fast wie startende Flugzeuge.

Sophies Unterwelt – höllisch gut

Wie Schüler des Sophie-Barat-Gymnasiums um Pressefreiheit kämpfen und nebenbei den Wettbewerb um die beste Schülerzeitung Hamburgs gewinnen

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Über der Tür der Redaktion hängt ein sterbender Jesus. Ein Kruzifix an einer katholischen Schule – kein ungewöhnlicher Anblick. Erstaunlicher ist da schon das Teufelchen, das unter dem Kruzifix frech vom Titelblatt der Schülerzeitung grinst. „Sophies Unterwelt“ heißt die Zeitung, von der gerade die zweite Ausgabe erschienen ist. „Und das, obwohl wir offiziell verboten sind“, sagt Nico Semsrott stolz. Der 19-Jährige gehört zur zehnköpfigen Redaktion an dem Gymnasium nahe der Alster. „Gezieltes Rebellentum“ haben sich die elf bis 19 Jahre alten Redakteure auf die Fahnen geschrieben. Und sich damit mit dem katholischen Schulapparat angelegt.

„Bloßes Wegsperren ist gefährlich!“

Hamburger Appell an Justizsenator Roger Kusch: Weitere Strafvollzugsexperten fordern den Erhalt des offenen Vollzugs und der Sozialtherapie

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Noch wäre es nicht zu spät: Die Sozialtherapeutischen Anstalten in Hamburg könnten noch an Ort und Stelle erhalten werden. Der offene Vollzug könnte wieder ausgedehnt werden. Hamburgs Knäste könnten dezentraler bleiben, statt sie alle zu Großgefängnissen zusammenzufassen. Und vielleicht könnten – mit dem nötigen Fingerspitzengefühl – die Mitarbeiter wieder mehr ins Boot geholt werden. Aber leider prallt die Kritik der 16 Strafvollzugsexperten, die sich in der April-Ausgabe mit dem Hamburger Appell an Roger Kusch richteten, an diesem ab. Der Justizsenator hüllt sich in Schweigen. Jedoch stellte Behördensprecher Ingo Wolfram eine Stellungnahme für die Juni-Ausgabe in Aussicht. Indessen haben sich zahlreiche Experten aus Hamburg und dem Bundesgebiet dem Hamburger Appell angeschlossen.

„Höhenflug eines Huhns“

Zwei Experten streiten über Sinn und Unsinn des Ein-Euro-Programms

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Die Menschen sind zufrieden, dass sie eine Aufgabe bekommen, sagt der eine. Reguläre Arbeit wird verdrängt, meint die andere. Ein Streitgespräch zwischen Stephan Müller (Beschäftigung + Bildung) und Gaby Gottwald (ehemals Abakus).

Achtung, Hochverrat!

Auf Erfolgskurs: die Hamburger Band „Der Fall Böse“

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Von der Location her könnte die Böse-Zentrale auch eine windige Detektei sein: Kühles Industriegebiet, verlassene Fabrikgebäude, vorbeidonnernde Lkw. Doch hier in Billbrook, kurz hinterm Güterbahnhof, ermittelt kein Kojak. Hier grooven die acht Jungens von „Der Fall Böse“.

Das Ein-Euro-Versprechen

Vier Monate Hartz IV: Behördenmitarbeiter klagen über unzumutbare Arbeitsbelastung, und Erwerbslose sind auf sich allein gestellt

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Persönliche Beratung, passgenaue Vermittlung: Mit diesen Schlagworten warben Politiker für Hartz IV. Doch vier Monate nach der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe herrschen katastrophale Zustände in Hamburg: Hilfeempfänger werden wahllos in Ein-Euro-Maßnahmen geschickt oder schlicht nicht betreut. Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft SGB II (ARGE) kämpfen mit Personalnot und unzulänglichen Computerprogrammen.