Zwischenbilanz : Bis zu 16 Mann in einem Zimmer

Der Senat hält sein Winternotprogramm für „umfassend“. Dabei sind alle Unterkünfte voll. Und nach wie vor nehmen nicht alle Obdachlose die Angebote an. Das ist für Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer allenfalls Erfrierungsschutz.

Eingang zur städtischen Notunterkunft in der Spaldingstraße. Mehr als 230 Menschen übernachten hier.

„Das Winternotprogramm der Freien und Hansestadt Hamburg bietet Obdachlosen umfassenden Schutz vor der Kälte“, heißt es in einer Presseerklärung, mit der der Hamburger Senat eine Zwischenbilanz zur Hilfe für Obdachlose in der kalten Jahreszeit zieht.

Richtig ist: Mit mittlerweile 350 zusätzlichen Schlafplätzen gibt es mehr Betten als in den vergangenen Jahren. Und ja, man hat „auf den Bunker am Hachmannplatz verzichtet“, wie es in der Erklärung weiter heißt. Dort waren im vergangenen Winter Obdachlose unterirdisch untergebracht worden, weil die Plätze im regulären Programm nicht ausreichten.
Richtig ist auch: Sozialsenator Detlef Scheele hat Wort gehalten. Er hatte mehrfach versprochen, bei Bedarf die Zahl der Plätze aufzustocken. Und das hat er auch getan: Gestartet war das Programm im November mit 240 Plätzen.
Auch ist es schon im laufenden Winternotprogramm gelungen, 40 Obdachlose dauerhaft in Wohnunterkünften unterzubringen.

Trotzdem: Auch in diesem Winter könne beim Notprogramm von „umfassendem Schutz“ keine Rede sein, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Was die Stadt anbietet, ist größtenteis reiner Erfrierungsschutz. Gäbe es angemessene Unterkünfte mit maximal zwei Personen in einem Zimmer, würden das auch viele Obdachlose, die jetzt noch auf der Straße schlafen, in Anspruch nehmen.“ Doch in großen, vollen Unterkünften hätten viele Angst vor Auseinandersetzungen und Diebstahl. „Unterkünfte müssen so gestaltet sein, dass sich jeder vorstellen kann in einer Notsituation dort vorübergehend eine Art Zuhause zu finden.“

Im Pik As schlafen Obdachlose auf Matratzen im Flur

Alles andere als zu Hause können sich die Obdachlosen fühlen, die in der Notübernachtungsstätte Pik As unterkommen. Hier wird niemand abgewiesen. Die Folge: Die reguläre Platzzahl von 190 ist weit überschritten. Die Einrichtung hat Notzimmer geöffnet, die sonst nicht zur Verfügung stehen, sagte eine Sprecherin der Sozialbehörde auf Nachfrage von Hinz&Kunzt. 232 Personen schliefen in der Nacht von Montag auf Dienstag dort. Die meisten, so die Behörde, in 4-Bett-Zimmern. Doch es gebe dort auch zwei „sehr große Zimmer“, wo Obdachlose „ein Stück enger zusammenrücken“ und sich den Raum „mit über zehn anderen Obdachlosen teilen“ müssten. Obdachlose berichten, sie schliefen mit bis zu 16 Personen in einem Zimmer. Andere schlafen auf Matratzen im Flur oder im Fernsehraum – freiwillig, wie die Behörde betont, weil sie „nicht im Zimmer Bett übernachten möchten“.

„Niemand muss auf der Straße bleiben“, sagt Sozialsenator Detlef Scheele. Und: „Auch tagsüber gibt es in Hamburg genügend Treffpunkte, in denen sich Obdachlose aufwärmen und lebenspraktische Hilfen bekommen können.“

Nicht nur nachts ist es kalt: Starker Andrang auf Tagesaufenthaltsstätten

Doch auch die Tagesaufenthaltsstätten in der Stadt sind stärker beansprucht als gewöhnlich. Einen besonders großen Andrang haben die Mitarbeiter des Herz As zu bewältigen. Die Einrichtung liegt in unmittelbarer Nähe zur großen Übernachtungsunterkunft in der Spaldingstraße, wo zur Zeit 230 Personen übernachten. 80 Aufenthaltsplätze gibt es im Herz As. Bis zu 150 warme Mittagessen können die Mitarbeiter ausgeben. „Wir mussten leider schon Menschen abweisen, weil wir den Andrang nicht bewältigen konnten“, sagt Leiter Andreas Bischke. Viele bleiben auch länger als sonst.

Nicht ganz so angespannt ist die Situation in Einrichtungen in anderen Stadtteilen. Die Kemenate, ein Tagestreffpunkt für Frauen, hat momentan bis zu 45 Besucherinnen – sonst sind es um die 30. „Es kommen vor allem Frauen dazu, die wir eine ganze Weile nicht gesehen haben und von denen wir wissen, dass sie draußen schlafen“, sagt eine Mitarbeiterin der Kemenate. Auch im Cafée mit Herz auf St. Pauli ist viel los: Zum Aufwärmen und um ein warmes Essen zu bekommen, stehen zur Zeit rund 280 Menschen täglich an. Normalerweise wären es rund 200. Mit 300 Besuchern täglich ist auch die Bahnhofmission ausgelastet. „Die Leute wollen alle etwas Warmes zu trinken und einen Sitzplatz“, sagt Leiter Axel Mangat.

Für Obdachlose sowieso, aber auch für die Mitarbeiter in den Einrichtunge bedeutet der Winter eine extreme Belastung. Immerhin: Für die kommenden Tage sind mildere Temperaturen und nur für nachts zweistellige Minusgrade vorrausgesagt.

Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante