„Die besten Journalisten verschwinden“

Immer wenn er in seine Heimat Weißrussland reist, bringt der Hamburger Fotograf Dmitrij Leltschuk beeindruckende Bilder mit – so wie jetzt von zwei großen Druckereien in Minsk. Bei seiner Arbeit geht er immer ein Risiko ein: Unter dem Regime von Präsident Lukaschenko leben Journalisten gefährlich.

(aus Hinz&Kunzt 225/November 2011)

Die meisten Druckhäuser sind zwar eigenständige Unternehmen, aber in Wirklichkeit finanziell abhängig von den Aufträgen des Regimes von Alexander Lukaschenko. Das Gesicht des Diktators (rechts) wird daher häufig gedruckt.

Es ist immer ein zwiespältiges Gefühl, nach Weißrussland zu fahren. Einerseits freue ich mich darauf, meine Heimat zu besuchen, Freunde und Familie zu treffen. Andererseits: Sowie ich mit meiner Kamera unterwegs bin, fühle ich mich beobachtet. Das ist nicht so wie hier in Hamburg, wo jede Überwachungskamera letztlich harmlos ist. Weißrussland ist eine Diktatur. Da ist alles möglich. Bei meinem letzten Besuch wurde ich mehrfach von Polizisten angehalten, die meinen Rucksack untersucht und alle Bilder auf meiner Kamera angesehen haben. Ein mulmiges Gefühl.

Und dabei hatte ich noch Glück: Ein Kollege von mir hat vor Kurzem eine Demonstration fotografiert, wie es sie seit der Präsidentschaftswahl im Dezember 2010 häufiger gibt. Plötzlich standen zwei Polizisten vor ihm und sagten: „Wir würden gerne deine Kamera haben.“ Er musste ihnen die teure Kamera geben, sonst hätten sie Gewalt angewendet. Danach ist er zur Wache gegangen und wollte ein offizielles Dokument haben, weil ihm seine Kamera weggenommen wurde. Doch die Beamten haben nur gelacht: „Das ist doch lächerlich. Wir würden nie jemandem etwas wegnehmen.“ Mein Kollege ist zwar jemand, der durch solche Schikanen eher trotzig wird, aber trotzdem: Du riskierst mindestens deine Ausrüstung, wenn du in Weißrussland fotografierst.

Überhaupt ist die Situation der unabhängigen Presse hart. Die staatlichen Zeitungen und Zeitschriften bekommt man fast kostenlos, deshalb informieren sich gerade die ärmeren Leute vor allem aus diesen Propagandablättern. Zusätzlich steht die kritische Presse unter dem ständigen Druck der Regierung: Theoretisch können sich Oppositionelle frei äußern, aber in der Praxis wird Kritik nur bis zu einer bestimmten Grenze geduldet. Sobald eine Zeitung irgendwas veröffentlicht, was dem Präsidenten nicht gefällt, wird sie zugemacht. Meist gibt es einen angeblichen Steuerskandal, die Polizei kommt in die Redaktion und beschlagnahmt alle Computer. Und am Ende muss der Verlag eine so hohe Strafe zahlen, dass die Zeitung nicht weiter existieren kann. Für kritische Journalisten ist es daher schwer, von ihrer Arbeit zu leben – Existenzangst ist unter ihnen sehr verbreitet.

Manche Kollegen verschwinden sogar. Es gibt bekannte Journalisten, die waren irgendwann weg und wurden nie wieder gesehen. Jeder weiß, dass die Regierung dahintersteckt, denn es sind immer die besten und kritischsten Journalisten, die verschwinden. Das sind schreckliche Fälle: Die Familien sind völlig verzweifelt, sie weinen und demonstrieren für die Freilassung ihrer Familienväter. Aber gegen die Staatsmaschine sind sie machtlos. Deshalb gehen auch einige Journalisten nach Litauen oder Polen, und viele geben auf und suchen sich einen anderen Beruf. So wie ich auch: Ende der 90er-Jahre habe ich eine Zeit lang für die weißrussische Zeitung „Zentralnaja Gazeta“ geschrieben, vor allem über Kulturthemen. Aber Theater und Kunst sind ja auch politisch, und ich habe schnell die Grenzen dessen gespürt, was ich schreiben darf. Das war ein wichtiger Grund, warum ich 1999 nach Hamburg gegangen bin, um Fotografie zu studieren. Nicht schreiben zu können, was ich denke: Da hätte ich resigniert.
Auch viele der Arbeiter, die ich in den beiden Druckereien „Belarussisches Druckhaus“ und „Druckkombinat“ in Minsk fotografiert habe, sind völlig resigniert. Sie sind zumeist arme Leute, die keinen anderen Job finden können. Viele schämen sich, weil sie arm sind – aber auch, weil sie wissen, dass in ihren Betrieben die Propaganda von Lukaschenko gedruckt wird. Denn die beiden Druckereien, die größten im Land, könnten ohne die Aufträge vom Staat überhaupt nicht leben. Die Arbeitsbedingungen sind hart: Es herrscht Schichtbetrieb, im Winter ist es in diesen Betrieben so kalt, dass die Leute fast nicht arbeiten können. Überall ist es feucht, es riecht nach Metall und alter Farbe. Die Umkleiden und die Teeküche befinden sich in einem Bunker aus dem Kalten Krieg, da herrscht eine eigenartige, beklemmende Stimmung.

Die größte Angst der Drucker ist, dass sie ihre Familien nicht mehr ernähren können. Vor der Wahl 2010 hatte man ihnen versprochen, dass ihr Gehalt von 300 auf 500 Euro pro Monat steigen sollte. Trotzdem haben sie mir alle erzählt, dass sie nicht für Lukaschenko gestimmt haben. Und jetzt steckt Weißrussland in einer Wirtschaftskrise – und sie bekommen weniger als 200 Euro, dabei kosten alle Lebensmittel fast genauso viel wie in Deutschland. Die meisten können sich nicht einmal ein Mittagessen in der Kantine leisten. Immer, wenn ich sie auf ihre Lage angesprochen habe, haben sich die Arbeiter zuerst hinter zynischen Kommentaren und einem bitteren Lachen versteckt. Erst nach längeren Gesprächen – wenn sie ein bisschen Vertrauen zu mir gefasst hatten – haben sie mir anvertraut, wie schlecht es ihnen wirklich geht.

Ich selbst kann die Lage dieser Menschen gut nachvollziehen. Bevor ich Journalist war, habe ich einen Monat beim „Druckkombinat“ gearbeitet. Ich war schockiert, als ich jetzt gesehen habe, dass sich absolut nichts geändert hat. Sie benutzen sogar noch die Maschinen aus den 50er- und 60er-Jahren. Manchmal habe ich mich schlecht gefühlt: Ich hatte, im Gegensatz zu diesen Arbeitern, die Möglichkeit, in Deutschland Fotograf zu werden. Ich habe ihr Elend gesehen und wusste: Mir könnte es genauso gehen. • XNiP: FB6GXA

 

Protokoll: Hanning Voigts
Foto: Dmitrij Leltschuk