Nach Chantals Tod : Nach Chantals Tod: ASD in der Krise

Fleißarbeit: Binnen zwei Wochen wurden die Akten aller 1391 Hamburger Pflegekinder überprüft. Zumindest laut Aktenlage gibt es keine Hinweise darauf, dass Kinder akut gefährdet sind. Doch die Sozialbehörde hat die Misere lange noch nicht im Griff.

Zutiefst erschüttert reagierten auch die Mitschüler auf Chantals Tod. (Foto: picture alliance/dpa)

Im Vier-Augen-Prinzip suchten Mitarbeiter der Bezirke nach Hinweisen auf ein Sucht – oder Kriminalitätsrisiko bei den Pflegeeltern und deren Umfeld. Nicht nur Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) waren im Einsatz, sondern Kollegen aus allen Abteilungen, um einen unvoreingenommenen Blick auf die Akten zu werfen, sagte Thomas Ritzenhoff, Bezirksamtsleiter von Wandsbek im Namen der Bezirke.

Gemeinsam mit Jan Pörksen, Staatsrat in der Sozialbehörde, präsentierte Ritzenhoff am 17. Februar die Ergebnisse des konzertierten Aktenstudiums.

Gezielt wurde nach Hinweisen auf mögliche Suchtprobleme der Pflegeeltern gesucht (sie fanden 40) oder auf mögliche Straftaten (13). Da die Bezirksamtsmitarbeiter schon mal dabei waren, überprüften sie auch, ob es Drogenprobleme im Umfeld (17) geben könnte oder Erziehungsprobleme in der Pflegefamilie (33).

Jedem Hinweis werde jetzt nachgegangen: Hat da eine Familie nur einmal lautstark gefeiert oder haben Pflegevater oder -mutter ein Alkoholproblem? Ist da jemand in der Familie einmal schwarzgefahren oder steckt da mehr dahinter? Braucht die Pflegefamilie Unterstützung – oder ist sie ungeeignet, ein Kind großzuziehen?

Pflegefamilien müssen nun zum Drogentest

Innerhalb von sechs Wochen sollen alle Hinweise abgearbeitet sein, sagte Jan Pörksen, Staatsrat in der Sozialbehörde. Die Konsequenzen, die Sozialsenator Detlef Scheele unmittelbar nach dem Tod von Chantal zog: Pflegefamilien müssen zukünftig ein Gesundheitszeugnis mit Drogentest vorlegen und ein Führungszeugnis, das nicht älter als drei Jahre alt sein darf. Außerdem müssen die Familien mit unangemeldeten Hausbesuchen rechnen.

Eine unabhängige Jugendhilfe-Inspektion soll es geben, die jederzeit Zugriff auf die Akten hat und eingreifen kann. Der Ermessensspielraum des ASD wird erheblich eingeschränkt: Familien, in denen ein im Hause lebendes Mitglied ein Suchtproblem hat, bekommen kein Pflegekind. Als Pflegeeltern kommen auch keine Menschen in Frage, die einen Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis haben.

Man spürt den Willen aller Bezirksämter und der Sozialbehörde, die Misere in den Griff zu bekommen. Schwierig ist das unter anderem deshalb, weil der ASD nach wie vor unter Personalmangel leidet. Es gibt einen Fachkräftemangel – und die jungen Fachhochschulabsolventen sind mit der Arbeit oft überfordert. Wie hoch die Fluktuation ist, macht eine Statistik deutlich: Von 340 Stellen waren zum Jahresende 26 nicht besetzt. Und auch der Krankenstand ist hoch.

Zwar hat der SPD-Senat nach Amtsantritt schnell versucht, gegenzusteuern und die unterbezahlten ASD-Mitarbeiter höher gestuft. Allerdings hat das in den Augen des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit wenig gebracht: Das Einstiegsgehalt sei jetzt höher, dafür würden altbewährte Kräfte anders und schlechter eingestuft. Aufstiegschancen seien gering, so eine Sprecherin.

Mitarbeiter oft überlastet

Wie angespannt die Situation nach wie vor ist, zeigt sich an den Überlastungsanzeigen. Im Bezirk Wandsbek etwa gibt es acht ASD-Stellen, sechs davon haben kollektiv als Abteilung Überlastungsanzeigen gestellt, weil sie sich überfordert fühlen.

Weder Staatsrat Pörksen noch Bezirksamtsleiter Ritzenhoff wussten, wie es in den anderen Bezirken ist. Auf eine Anfrage im Vorfeld der Pressekonferenz antwortete die Pressestelle der Sozialbehörde lapidar, das müsse man selbst recherchieren…

Eine „gewisse Arbeitszufriedenheit“ in Bezug auf den ASD will der Berufsverband für soziale Arbeit immerhin in Altona bemerkt haben. Der Grund: Der Bezirk hat unter anderem stark in den Ausbau der Geschäftsstellen investiert. Verwaltungsangestellte des mittleren Dienstes wurden extra für ASD-Arbeiten qualifiziert, übernehmen einen Teil der Verwaltungsarbeit – und entlasten so die gestressten ASD-Mitarbeiter.

Die Altonaer müssen durchschnittlich „nur“ 40 Fälle pro Mitarbeiter bewältigen, in manchen anderen Bezirken sind es 80 Fälle und mehr. Das liege daran, dass viele Anliegen im Eingangsmanagement des ASD geregelt werden oder an andere Einrichtungen vermittelt werden, so Bezirksamtssprecherin Kerstin Godenschwege. „Ein Anliegen wird damit häufig erst gar nicht zum Fall.“ Überlastungsanzeigen gibt es im Bezirk Altona laut Godenschwege keine.

Text: Birgit Müller
Foto: picture alliance/dpa

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