Armut in Deutschland : „Ein geschönter Erfolgsbericht“

Der Armutsbericht der Bundesregierung liegt vor, aber das Papier zeigt nicht die ganze Wahrheit: Das Wirtschaftsministerium hat die ursprüngliche Fassung entschärft und Aussagen gestrichen. Bei uns lesen Sie, an welchen Stellen der Bericht geschönt wurde.

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Enthält weniger kritische Formulierungen als anfangs geplant: Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bild: BELA

Endlich liegt der Armuts- und Reichtumsbericht vor: Mit einer Verspätung von fast vier Monaten hat das Bundeskabinett  am Mittwoch den gemeinsamen Bericht von Arbeits- und Wirtschaftsministerium gebilligt. Die FDP darf sich als Sieger fühlen, denn Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat sich mit seinen Änderungsvorschlägen durchsetzen können. Der im September von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgelegte Entwurf hatte mit seinen kritischen Formulierungen für Aufsehen gesorgt: In der Bild sprach Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter (CDU) von „Linksrhetorik pur“. Im Entwurf hieß es, dass die ungleiche Verteilung der Einkommen „das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“ verletze und „den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“ könne. Gegen solch eine Lesart der Untersuchungsergebnisse sperrten sich nicht nur Teile der CDU, sondern vor allem Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Der Minister intervenierte: Im November enthüllte die Süddeutsche Zeitung, dass auf sein Drängen eine überarbeitete Fassung „bewusst geschönt“ wurde.

Doch Zahlen lügen nicht: Das private Nettovermögen hat sich in den letzten 20 Jahren von 4,6 auf rund zehn Billionen Euro mehr als verdoppelt. Der Reichtum in der Bundesrepublik ist äußerst ungleich verteilt. Die oberen zehn Prozent der Deutschen verfügen über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens. Tendenz steigend. Dagegen besitzt die untere Bevölkerungshälfte nur noch einen Prozent des Vermögens. In der vom Wirtschaftsministerium überarbeiteten Version waren Aussagen über eine ungleiche Verteilung der Vermögen einfach gestrichen worden. Joachim Speicher, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (NAK), meint: „Die Bundesregierung verschleiert bewusst die Wahrheit: Reiche werden immer reicher und die Armen immer ärmer.“ Die NAK fordert deswegen einen schonungslosen und unzensierten Armuts- und Reichtumsbericht. Außerdem drängt sie auf die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission.

Die veränderten Passagen:



„Ein geschönter Erfolgsbericht der Bundesregierung nützt uns hier vor Ort nichts“, sagt Gabi Brasch, Vorstand des Diakonischen Werks Hamburg. „Die sozialen Probleme gehören auf den Tisch, wirkungsvolle Maßnahmen müssen folgen.“ Brasch kritisiert zudem die Form der Datenauswertung: „Rückläufige Arbeitslosenzahlen bedeuten keineswegs, dass es mehr Jobs gibt, von denen man auch leben kann.“ Die Zahl derer, die trotz Arbeit aufstockende Hartz-IV-Leistungen beantragen, sei in Hamburg seit 2005 von 12.752 auf 33.000 in 2012 gestiegen.

„Armutsberichte helfen nur, wenn sie die Probleme ganz klar benennen“, sagt Brasch. Die Nationale Armutskonferenz hat daher im Oktober im Berliner Straßenmagazin Straßenfeger einen Schattenbericht (PDF) veröffentlicht. In dem Gegenentwurf zum Armutsbericht kommen auch diejenigen zu Wort, die von Armut betroffen sind.

Die NAK strebt eine „Vermögensumfairteilung“ an. Aus diesem Grund fordert sie unter anderem die Einführung einer Vermögenssteuer. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hatte in dem Entwurf des Armutsberichts Vorschläge unterbreitet und eine stärkere Besteuerung von privatem Reichtum ins Spiel gebracht. In der finalen Version ist davon nicht mehr die Rede. Vielmehr sollen nun Möglichkeiten für ein „freiwilliges Engagement Vermögender“ ausgelotet werden.

Text: JOF
Grafik: BELA