Winternotprogramm : „Ich warte den ganzen Tag vor der Tür“

Sozialsenatorin Leonhard beharrt trotz Regen und Sturm weiterhin darauf, das Winternotprogramm tagsüber geschlossen zu halten. Die Obachlosen müssen jeden Morgen um 9 Uhr wieder auf die Straße. Wir haben zwei von ihnen gefragt, wie sich das anfühlt.

Freitagmorgen, 8:45 Uhr, Schaaarsteinweg in der Neustadt. Es regnet in Strömen, der Wind knickt reihenweise Regenschirme um, Sturmböen sind angesagt.  Trotzdem bleiben die Türen des Winternotprogramms den ganzen Tag über verschlossen. Erst am frühen Abend dürfen die Menschen wieder ins Warme.

André und Carsten sind zwei von ihnen. Wir haben sie vor dem Ausgang des Winternotprogramms nahe des Michels getroffen.

André ist seit sechs Wochen im Winternotprogramm. Gerne würde er sich hier auch tagsüber einmal richtig ausruhen dürfen.
André ist seit sechs Wochen im Winternotprogramm. Gerne würde er sich hier auch tagsüber einmal richtig ausruhen dürfen.

André: „Ich stehe hier den ganzen Tag“

Hinz&Kunzt: Wie lange nutzt du das Winternotprogramm schon?
André: Seit sechs Wochen.

Was machst du, wenn du hier um 9 Uhr rausgeschickt wirst?
André: Ich stehe hier den ganzen Tag.

Wo? Hier direkt hier vor dem Ausgang?
André: Ja, hier ist ja noch ein kleines Dach vor der Tür, wo man sich unterstellen kann.

Wie wäre es für dich, wenn das Winternotprogramm den ganzen Tag über offen hätte?
André: Das wäre super. Dann könnte an sich mal ausruhen. Ich bin auch ein bisschen erkältet gerade.

Die Sozialbehörde sagt, ihr sollt „in Bewegung bleiben“ und die Beratungsangebote wahrnehmen. Was sagst du dazu?
André: Das finde ich nicht gut. Ich meine, man könnte sich ja auch da drinnen (im Winternoprogramm, d. Red.) vorsprechen und beraten lassen.

Gibt es denn hier vor Ort die Chance, jemanden zu fragen?
André: Nein.

Dann heißt es auch noch, ihr solltet deshalb raus, weil die Zimmer gereinigt werden müssen.
André: Hhm.

Acht Stunden lang sollen die Zimmer gereinigt werden, das erscheint uns sehr lang.
André: Das weiß ich auch nicht, warum das so lange dauert.

 

Carsten ist seit 14 Tagen im Winternotprogramm und fragt: "Wohin sollen die Leute denn tagsüber gehen?"
Carsten ist seit 14 Tagen im Winternotprogramm und fragt: „Wohin sollen die Leute denn tagsüber gehen?“

Carsten: „Wo sollen die Leute eigentlich hingehen?“

Hinz&Kunzt: Wie lange bist Du schon im Winternotprogramm?
Carsten: Seit zwei Wochen.

Wie findest Du es, dass das Winternotprogramm jeden Morgen um 9 Uhr dicht macht?
Carsten: Beschissen. Man sollte auch mal ausschlafen können. Wo sollen die Leute nach 9 Uhr eigentlich genau hingehen? Es gibt die Bücherhalle. Aber sich da den ganzen Tag hinzusetzen ist ja auch nicht Sinn der Sache. Der Sinn der Sache ist doch eigentlich, dass die Leute auch was tun, sich etwa um einen Job kümmern. Ich suche auch einen Job. Aber ich sehe so viele Leute, die tagsüber nur irgendwo rumstehen, weil sie nicht wissen, wohin.

Die Sozialbehörde verweist auf die Tagesaufenthaltsstätten, in denen sich Obdachlose beraten lassen sollten.
Carsten: Ja, aber die sind total überfüllt. Und die können einem oft gar nicht helfen, weil sie selber nicht wissen, was sie anbieten können. Dann ist das auch Blödsinn, sich in die Tagesstätte hinzusetzen und da nur Kaffee zu trinken.

Nahe des Michel in der Neustadt befindet sich in diesem Jahr auch ein Gebäude des Winternotprogramms.
Im Schaarsteinweg in der Neustadt befindet sich in diesem Jahr auch ein Gebäude des Winternotprogramms. Hier gibt es 350 Schlafplätze.

Interviews + Fotos: Simone Deckner

Bitte unterstützen Sie unsere Online-Petition zur Öffnung des Winternotprogramms auch tagsüber!
Hier ist der Link zu Petition:
https://www.change.org/winternotprogramm

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