Systematischer Betrug? : Abzock-Vermieter Kuhlmann vor Gericht

Vor drei Jahren deckte Hinz&Kunzt die Machenschaften des Immobilienbesitzers Thorsten Kuhlmann auf. Jetzt will das Jobcenter 670.000 Euro zu viel gezahlte Mieten zurück. Außerdem droht dem Vermieter eine Haftstrafe wegen gewerbsmäßigen Betrugs.

(aus Hinz&Kunzt 234/August 2012)

Gütlich werden sich das Jobcenter Hamburg und der Immobilienbesitzer Thorsten Kuhlmann so bald nicht einigen: Die vier im Juli geführten Güteverhandlungen vor dem Amtsgericht St. Georg sind gescheitert. Sie waren der Auftakt einer Reihe von 13 Verfahren gegen Hamburgs berüchtigten Abzock-Vermieter, Thorsten Kuhlmann, und seine Kuhlmann Grundstücks GmbH. Die Stadt beziehungsweise das Hamburger Jobcenter verlangt in insgesamt 218 Fällen zu viel gezahlte Mieten zurück. Der Vorwurf: Kuhlmann habe sich auf Kosten des Steuerzahlers bereichert. Seine Mieten basierten auf falschen Quadratmeterangaben und waren daher viel zu hoch.

Dieses Vorgehen hat Thorsten Kuhl­mann mit seiner Kuhlmann Grundstücks GmbH in Hamburg offenbar systematisch betrieben. Im Oktober 2009 berichtete Hinz&Kunzt erstmals darüber, dass er Hilfeempfängern Quadratmeter vermietet, die gar nicht vorhanden sind. In manchen Fällen waren Wohnungen auf dem Papier sogar doppelt so groß wie in Wirklichkeit. Die ­Folge: Quadratmeterpreise von bis zu 14 Euro. Und das für Wohnungen, die nur mit viel gutem Willen als angemessen zu bezeichnen sind: In manchen gab es weder Küche noch Badezimmer, viele machte Schimmel praktisch unbewohnbar. Und: Mehrere der „Wohnungen“ waren eigentlich Keller und für Wohnzwecke gar nicht zugelassen. Das ließen sich die Bewohner, meist Hilfeempfänger, deren Mieten das Amt übernahm, widerspruchslos gefallen, weil sie keine Chance sahen, irgendwo anders unterzukommen. Sie hatten vorher zum Teil jahrelang auf der Straße oder in Not­unterkünften gelebt. Der Streitwert aller 13 Verfahren liegt bei rund 670.000 Euro. 105.000 Euro hat Thorsten Kuhlmann bereits an das Jobcenter zurückgezahlt.

Dem Verhandlungsauftakt im Juli sind zähe Ermittlungen vorausgegangen. Als Hinz&Kunzt im Herbst 2009 über das System Kuhlmann berichtete, erklärten sich Behörden zunächst für nicht zuständig. Erst ein knappes halbes Jahr später, als auch andere Medien berichteten und sich immer mehr Betroffene meldeten, wurden Jobcenter und die CDU-Sozialbehörde tätig. Pikant: Thorsten Kuhlmann war nicht nur ­Mitglied im CDU-Ortsverein Osdorf, sondern bis Anfang 2010 auch Deputierter der Sozialbehörde. In dieser Funktion beriet er auch den damaligen Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). Mit diesem einigte Kuhlmann sich im September 2010 darauf, Wohnungen gemeinsam zu vermessen. Der Vermieter wollte die sich daraus ergebenden Rückforderungen anstandslos zahlen.

Klingt, als wäre die Sache klar. Doch die Parteien, die sich nun vor ­Gericht trafen – der Anwalt des Jobcenters auf der einen Seite, der von Thorsten Kuhlmann auf der anderen – sind sich nicht einig, wie die Rückforderungen genau berechnet werden sollen.

Jobcenter-Anwalt Dr. Tobias Beckmann will die Miete jeweils um so viel Prozent kürzen, wie die tatsächliche Wohnungsgröße von der im Mietvertrag genannten abweicht. Der Quadrat­meterpreis soll dabei mindestens so hoch sein wie der Durchschnittswert im Hamburger Mietenspiegel (je nach Lage und Größe rund sieben Euro). „Wir wollen, dass die Mietverhältnisse zu ­einem angemessenen Preis bestehen bleiben“, sagt Beckmann. Denn sein Mandant, das Jobcenter, weiß: In Hamburg zurzeit andere bezahlbare Wohnungen für mehr als 200 Personen zu finden, ist praktisch unmöglich.

Kuhlmanns Anwalt Thilo Menzel will, dass bei der Berechnung noch 20 Prozent aufgeschlagen werden. Die ­Erklärung dafür bleibt er schuldig, findet Beckmann: „Mit dieser Berechnung kommt er auf die alten Mieten. Aber dafür gibt es keine Grundlage.“

Kuhlmann-Anwalt Menzel sagte vor Gericht, die Berechnungen Beckmanns seien „ein verzweifelter Versuch, dem komplexen Thema gerecht zu werden“ und „rechnerisch nicht nachvollziehbar“. Sein Mandant werde „mit pauschalen Forderungen überzogen, die schwindelerregend sind“.

Einen Vergleich zwischen den Parteien wird es wohl nicht geben. Job­center-Anwalt Beckmann machte klar: „Wir können nicht auf Forderungen verzichten. Quadratmeter, die es nicht gibt, werden nicht bezahlt.“ Er ist optimistisch, dass er die Forderungen des Jobcenters vor Gericht durchsetzen kann. In einem ähnlichen Fall gegen ­einen anderen Vermieter entschied das Landgericht Hamburg in diesem Jahr auf Rückzahlung von 40.000 Euro. Ein weiterer Vermieter musste 5000 Euro erstatten. Weitere Verfahren gegen drei andere Vermieter, die offenkundig nach dem gleichen System wie Thorsten Kuhlmann arbeiteten, laufen noch, darunter eines mit einem Streitwert von 200.000 Euro. Selbst eine vorsichtige Rechnung der auf dem Spiel stehenden Beträge ergibt mögliche Rückzahlungen von Vermietern an die Stadt in Höhe von einer Million Euro.

Im Juli hat auch die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Thorsten Kuhlmann Klage erhoben: Sie ist sich sicher, Kuhlmann gewerbsmäßigen Betrug in 223 Fällen nachweisen zu können – darunter auch einige in besonders schweren Fällen. Sollte er deswegen verurteilt werden, drohen ihm Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zwei weitere Hamburger Vermieter wegen des Verdachts auf Betrug und Mietwucher. Das macht deutlich: Wer zu überhöhten Preisen marode, kleine Wohnungen an Menschen vermietet, die sonst nirgendwohin können, begeht kein Kavaliersdelikt. Das findet auch Behördenanwalt Tobias Beckmann: „Vielleicht wird Thorsten Kuhlmann ja unter Druck des laufenden Strafverfahrens gegen ihn klar, was er getan hat.“

Im August starten weitere Verfahren vor dem Amtsgericht Harburg. Entscheidungen in den im Juli aufgenommenen Verfahren werden ab Oktober erwartet. Ob das Strafverfahren gegen Kuhlmann eröffnet wird, entscheidet das Landgericht vorraussichtlich bis Herbst dieses Jahres.

Text: Beatrice Blank