Badetag im Pik As

Wellness statt Entlausung: In Hamburgs größter Notunterkunft für Obdachlose weht ein neuer Wind

(aus Hinz&Kunzt 178/Dezember 2007)

Blütenweiß wölbt sich der Schaum. Seifenbläschen zerplatzen auf nackter Haut. Es duftet nach Lavendel. So viel Schaum ist sonst nicht. Den gibt’s extra fürs Foto, wegen der Scham. Wenn Hollywood seine Badenden unter Schaumbergen verbirgt, höchstens mal ein bisschen nassglänzende Haut im Gegenlicht filmt, dann soll auch Torsten Pingel etwas Sichtschutz genießen.

Hinz&Kunzt-Verkäufer Torsten Pingel ist wohnungslos, lebt seit fünf Jahren in der Übernachtungsstätte Pik As. „So, Herr Pingel, dann mal den Kopf zurück“, sagt Alfredo Meyn. Torsten Pingel streckt sich in der Wanne aus. Der große, hagere Mann legt den Kopf in den Nacken. Wärm läuft das Wasser über die Kopfhaut, Torsten Pingel schließt die Augen. Dann reibt ihm Alfredo Meyn den Haarkranz mit Goldgeist ein.

Goldgeist ist der wichtigste Verbündete von Meyn. Im Kampf gegen Pediculus humanus capitis, die gemeine Kopflaus. Bei Torsten Pingel ist der nicht nötig, er hat keine Läuse – aber demonstriert heute, was im Keller des Pik As passiert.

An der Tür steht „Pik As Badeland“. Das klingt nach Wellness-Tempel. Alfredo Meyn war ein ganz normaler Pik-As-Angestellter. Jetzt ist er der Bademeister: „Man muss die Menschen schon mögen, Berührungsängste dürfen nicht da sein.“

Entlaust wurde hier immer schon. Bis vor einem Jahr hieß der Nassbereich im Keller des Pik As „Brenne“. Klingt nicht nach Wellness. Klingt im besten Fall nach Schnaps, aber eigentlich nach langen Bärten, verfilzten Haaren, Verwahrlosung. Nach einer lästigen Pflicht.

„Brenne“ wegen des Eisenschrankes, in den die Kleider gehängt und erhitzt werden. Bis alles Eiweiß steif wird, alles Leben stirbt. Auch die Läuse. Bis zum nächsten Mal. Damals gab es keine Badewanne, nur karge Duschköpfe in der gekachelten Wand.

Die eigentliche Prozedur der Entlausung ist die gleiche geblieben: Klamotten in die „Brenne“, Goldgeist auf die Haare, einwirken lassen, abwaschen, fertig.

Nur das Ambiente ist anders. Finanziert wurde das „Badeland“ durch das Spendenparlament, das Bezirksamt gab 3000 Euro dazu. Im Ruheraum, in dem die Wohnungslosen sitzen und den Goldgeist einwirken lassen, stehen jetzt Liegestühle. Im Hintergrund läuft Entspannungsmusik. Und durch ein Wandgemälde können sich die Wohnungslosen ans Meer träumen. Alfredo Meyn: „Jetzt kommen manchmal auch Bewohner zu mir und sagen: ,Ich hab zwar keine Läuse, aber darf ich trotzdem in die Wanne?‘“

Das Pik As hat bei vielen Wohnungslosen einen schlechen Ruf. Seit der Gründung im Jahr 1913 sind Läuse nicht das schwerwiegendste Problem im ehemaligen „Polizeiasyl“. Drogen- und Alkoholabhängige, psychisch Kranke,

Gebrechliche und jugendliche Ausreißer – das Pik As muss jeden Obdachlosen aufnehmen. 200 Männer, größtenteils untergebracht in Viererzimmern. Klar, dass es da zu Konflikten kommt. Die Polizei muss fast jede Woche anrücken.

Pik-As-Chef Hartwig Kwella geht durch die langen Gänge des verwinkelten Baus. Schüttelt Hände. Wer dem energiegeladenen Kwella begegnet, könnte meinen: Das Pik As hat einen jungen Chef. Aber Kwela ist 60. 20 Jahre leitete er eine Einrichtung für Alkoholkranke vor den Toren Hamburgs. Seit März 2004 ist er im Pik As. „Als ich den Job im Pik As übernahm, hatte ich natürlich gewisse Vorbehalte.“

Nun ist Hartwig Kwella einer, der Herausforderungen schätzt und der es unorthodox mag. Der in den Geschäftsbericht des Pik As für den Träger fördern&wohnen schon mal das winzige Bild einer Laus drucken ließ, versteckt zwischen den Buchstaben. Damit jeder sieht, wo der Bericht herkommt.

Als er kam, lag einiges im Argen. Beispielsweise gab es Streit mit den Nachbarn: Ein paar Pik-As-Bewohner waren im Suff auf die Idee gekommen, aus dem geöffneten Fenster volle Joghurtbecher an die Hauswand der Nachbarn zu werfen. Wenn Kwella das sagt, klingt es wie: „Ach, Sie wissen ja, wie Jungs so sind.“

Kwella lud alle Nachbarn zu einem gemeinsamen Gespräch ein, um die Wogen zu glätten. Außerdem ließ er die Fenster umbauen. Kwella: „Die lassen sich nur noch kippen.“

Seit Kwella da ist, gibt es Porzellanteller statt Plastikgeschirr. Künstler haben den Eingangsbereich freundlicher gestaltet. Stolz ist er auf den neuen Gesundheitsflur. Vier Einzel-, ein Doppelzimmer, eingerichtet mit Ikea-Schick, finanziert durch Spenden. Für kranke Pik-As-Bewohner die Chance, sich außerhalb des Trubels der Mehrbettzimmer auszukurieren.

Normal sind im Pik As Vierbettzimmer. Jeder Mann in seiner Ecke. Die Betten kauern sich an die Wand, möglichst weit von den anderen entfernt. „Unseres ist das beste Zimmer im Pik As“, poltert Thomas Glatz-Kage.

Der 51-Jährige ist seit zwei Monaten hier. Wieder hier, muss man sagen. Das Pik As kennt er gut, das erste Mal kam er mit 18 hierher. „Man kann das schon aushalten im Pik As“, sagt Glatz-Kage. „Wir haben uns im Zimmer erst mal auf die Schnauze gehauen – jetzt kommen wir gut miteinander zurecht.“ Wichtig sei, dass immer einer im Zimmer bleibt. „Aufpassen, dass kein Junkie zum Klauen kommt.“ Abschließen lassen sich die Zimmer nicht.

René Harald Hundisch fängt morgen sogar einen Ein-Euro-Job an. Grünstreifen-Pflege. „Ich hoffe, dass heute Nacht Ruhe ist, damit ich schlafen kann.“

Zimmerältester ist Uwe Vogt. Seit einem Jahr lebt er hier. Hinter Uwe Vogt hängt eine Postkarte mit vier jungen Frauen in Unterwäsche an der Wand. Erotik im Elend. Für die, bei denen die Notunterkunft längst Heimat geworden ist. Zwei Drittel der Bewohner bleiben zwei Jahre oder länger im Pik As. Dennoch sagt Uwe Vogt: „Ich steck nicht auf. Ich nicht.“

Der Schaum verschwindet mit dem Wasser im Abfluss. Torsten Pingel schlüpft in einen Bademantel. Läuse hatte er nicht. Trotzdem hat sich der Badeland-Besuch gelohnt. „Bei mir hat sich eine Erkältung angedeutet. Da tut das gut.“

Jetzt rekelt sich Torsten Pingel im Bademantel auf einem Liegestuhl im Ruheraum. Er erzählt nicht von den aufreibenden Jahren auf der Straße. Erzählt nicht, wie kostbar Entspannung ist, wenn man sich sein Zimmer mit drei anderen Männern teilt. Stattdessen steckt er sich eine Zigarette in den Mund. Leise knistert der lockere Tabak an der Zigarettenspitze. Torsten Pingel zieht den Rauch tief in die Lungenflügel. Als er ihn herausbläst, schließt er die Augen.

Marc-André Rüssau

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