Auf der Suche nach dem Straßengold

In Hamburg-Ottensen gibt es jetzt das erste Plattenlabel nur für Straßenmusikanten

(aus Hinz&Kunzt 176/Oktober 2007)

Wenn Sie schon mal durch Ottensen gegangen sind, kennen Sie wahrscheinlich Jana. Meist sitzt die 21-Jährige vor dem Mercado, leuchtend rote Haare, ein schwarzes Akkordeon auf den Knien. Dazu eine Stimme, als säße Sinéad O’Connor vor dem Einkaufszentrum.

„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich weg muss“, erklärt Jana ihre Anfänge als Straßenmusikerin. Zweieinhalb Jahre lebte sie auf einem Bauwagenplatz. Dann Portugal, Marokko. In Schottland lebte sie in einem Baumhaus – als Protest gegen eine Autobahn. In Spanien arbeitete sie als Mosaiklegerin. In Paris hörte sie ein Professor auf der Straße spielen, mietete ihr ein Zimmer und gab ihr Unterricht in Musiktheorie. Jetzt lebt sie in Hamburg und finanziert sich ihre Schauspiel-Ausbildung mit Straßenmusik.

Eine Geschichte mit so viel Duft nach weiter Welt und Glamour, dass sogar die meisten Rockstars eine vergleichsweise langweilige Vita vorzuweisen haben. Da müsste nur mal ein Plattenmanager vorbeikommen – und eine große Karriere wäre programmiert. Alles längst geschehen. Gut, es war kein Major-Label, sondern ein ganz kleines aus Ottensen: Strassengold, das Label für Straßenmusiker.

Alles begann vor etwa einem Jahr. Stefan Waldow, der Begründer von Strassengold, geht in der Innenstadt spazieren. Prächtiges Wetter, frühmorgens, kein Mensch unterwegs. Nur vor Peek&Cloppenburg stehen zwei Straßenmusiker, Kveta und Jozef. „Die sangen einen Walzer, voller Inbrunst, ungeachtet des fehlenden Publikums“, sagt Stefan Waldow, „das fand ich sehr anrührend.“

Nun hat der 51-Jährige durchaus Sinn für alternative Lebenskonzepte. Spielte lange in einer Rockband, sattelte vor kurzem auf Akkordeon um, bezeichnet seine Wohngemeinschaft als seine Familie. Er bleibt ein paar Lieder bei den Straßenmusikern stehen. Klatscht. Irgendwann kommt Jozef auf ihn zu. Und fragt, ob Waldow nicht eine Unterkunft für ihn wisse. „Natürlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt nichts über sie. Aber ihre Musik hat mein Herz berührt“, sagt Waldow. Kurz entschlossen quartiert der Therapeut die Musiker in seiner Praxis ein. Schon bald bekommen sie sogar einen Schlüssel zur Wohnung. Waldows Freunde schütteln verständnislos den Kopf. „Aber das hat gut funktioniert.“ Morgens, bevor die ersten Patienten kommen, verlassen die Musiker die Praxis. „Sie haben auch jeden Tag alles sauber gemacht“, sagt Waldow, „trotzdem roch es die ganze Zeit nach Schweinebauch. Weil sie sich so furchtbares Essen zubereiteten.“

In dieser Zeit entsteht auch die Idee zu Strassengold. „Ich habe gesehen, was sie für wunderbare Musik machen“, erinnert sich Waldow, „aber sie hatten eben Defizite in anderen Bereichen.“ Total herzlich seien die Slowaken gewesen, aber eben auch sehr chaotisch. Hielten sich nicht an Verabredungen. Mit einem Manager, der sich um ihre Belange kümmern würde, könnten sie deutlich mehr Erfolg haben. „Es gibt eine vitale Straßenmusikerszene – nur fehlt es ihr an einer Stimme nach außen“, sagt Waldow. Deswegen erfand er das Label Strassengold. Als Forum für Straßenmusiker.

Dann ist Stefan Waldow ein Gutmensch? „Was heißt hier Gutmensch? Das bin ich natürlich auch, aber nicht nur“, sagt Waldow, „bei so etwas befriedigt man immer egoistische und narzisstische Bedürfnisse. Ich fand das einfach eine nette Möglichkeit, um Kontakt zur Musikszene aufzunehmen.“ Die erste CD-Aufnahme war dann auch etwas ungewöhnlich. „Die singen mir meine Mikrofone kaputt“, rief der Toningenieur entsetzt – schließlich waren Kveta und Jozef gewöhnt, nicht nur ein Studio, sondern eine ganze Fußgängerzone mit ihrer Stimme auszufüllen.

Mittlerweile sind fünf Künstler bei Strassengold vertreten – alle mit eigener CDs. Geld verdient Waldow mit seinem Label noch nicht. Das war auch nicht sein Ziel, sagt er. Aber es hat ihm dabei geholfen, seinen eigenen Wunsch zu verwirklichen: selbst als Straßenmusiker aufzutreten.

Marc-André Rüssau