Billigjob Briefträger

Der Postmarkt wird „liberalisiert“. Die Rechnung zahlen Beschäftigte und Steuerzahler

(aus Hinz&Kunzt 174/August 2007)

Kommendes Jahr soll das Postmonopol endgültig fallen. Erst mal hört sich das gut an, nach mehr Service und günstigerem Porto. Doch die Rechnung dafür zahlen Postboten und Steuerzahler: Löhne und Arbeitsbedingungen in der Branche werden immer schlechter. Und immer häufiger zahlt der Staat Zuschüsse an Unternehmen, die Preise wie Gehälter drücken.

Sonja Seeger hat ein Problem: Seit vier Wochen ist sie arbeitslos. Als die 42-jährige Mutter zweier Kinder Mitte Juni erfuhr, dass ihr Zeitvertrag bei der Firma Jurex Hamburg GmbH nicht verlängert wird, wusste sie erst nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. 830 Euro hatte die gelernte Fleischfachverkäuferin am Ende des Monats auf dem Konto, 40 Stunden die Woche fuhr sie dafür Post aus. „Jurex war nicht der Haupttreffer“, sagt Sonja Seeger. Doch mittlerweile sei sie eher traurig: „Ich hätte gerne weiter gearbeitet. Nicht wegen des Gehalts, sondern weil ich jetzt wieder zum Amt laufen und mir sagen lassen muss: ,Die will ja gar nicht arbeiten!‘“ Sonja Seeger ist nicht die einzige Briefträgerin, die in diesen Tagen bei der Arbeitsagentur vorstellig werden muss. Rund 100 der 120 Mitarbeiter, die Jurex in Hamburg beschäftigt hat, stehen Insidern zufolge seit Anfang Juli auf der Straße. Die Jurex GmbH will sich dazu nicht äußern. Das mittelständische Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen hatte Ende Mai Insolvenz beantragen müssen. Offenbar hatte die Firma sich übernommen, hatte zu viele Aufträge eingeworben in zu kurzer Zeit. Gleichzeitig häuften sich Medienberichte über schlechte Arbeitsbedingungen und miese Bezahlung. Erst nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet und bekannt geworden war, fanden sich neue Geldgeber. Doch zu diesem Zeitpunkt waren viele Auftraggeber, unter ihnen die Stadt Hamburg, schon abgesprungen. Gut ein Jahr ist es her, da machte Jurex erstmals in Hamburg von sich reden. Das Unternehmen hatte die Post AG unterboten und so eine Ausschreibung der Finanzbehörde gewonnen. Es ging um die Zustellung von täglich 8400 „förmlichen Briefen“ Hamburger Behörden, etwa Bußgeldbescheiden. Auftragsvolumen: 6,8 Millionen Euro jährlich. Kostenersparnis für die Stadt: 400.000 Euro. Bernd Singelmann (Name geändert, Red.) war bei Jurex Hamburg von Anfang an dabei. Rund 850 Euro netto hatte der 41-Jährige am Ende des Monats in der Tasche – macht bei einer 40-Stunden-Woche nicht mal 5 Euro die Stunde. Immerhin: Den Dienstwagen durfte der gelernte Gabelstaplerfahrer auch privat nutzen. Weil das Einkommen aber kaum zum Leben reichte, half Singelmann nach Feierabend in einer Kneipe aus, auf 400-Euro-Basis. Mindestens sieben Jurex-Kollegen hätten wie er einen Nebenjob gehabt, berichtet er. Andere hätten Lohnzuschüsse vom Staat bekommen. Längst rekrutieren die Konkurrenten der Post AG ihre Mitarbeiter aus dem Heer der Arbeitslosen, die für billiges Geld zu haben sind – Lohnkostenzuschüsse vom Staat oft inklusive. Allein 180 Arbeitsverhältnisse fördert die ARGE Hamburg bei den großen Mitbewerbern TNT und PIN mit dem [FARBE=DF2B85]Hamburger Modell[/FARBE]. Das bedeutet: Zehn Monate lang bekommen die Konzerne bis zu 250 Euro pro Mensch und Monat dafür bezahlt, dass sie vormals Arbeitslose beschäftigen – mitunter auf Basis eines Ein-Jahres-Vertrags. Kosten für den Steuerzahler: bis zu 900.000 Euro. Rainer Streck (Name geändert, Red.) ist von seinem ARGE-Berater zu PIN Mail geschickt worden. 1200 Euro netto verdient der 37-jährige gelernte Chemielaborant nach eigenen Angaben im Monat – dank der 250 Euro, die die Stadt ihm zum Lohn hinzubezahlt. Überstunden, „welche nicht selten sind“, bekomme er nicht vergütet. Wenn die Förderung ausläuft, wird sich der Briefträger vermutlich mit 950 Euro begnügen müssen. Das würde einen Nettostundenlohn von 6,33 Euro bedeuten. Selbst wenn der Vertrag, der bis Dezember befristet ist, verlängert werden sollte: Ein höheres Einkommen, so Streck, ist nicht in Sicht. Derweil geht der Preiskampf in die nächste Runde. Nachdem die Stadt den Vertrag mit Jurex fristlos gekündigt hat, ist die Post AG eingesprungen. Nun trägt der Marktführer wieder die Bescheide der Hamburger Ämter aus. Doch wie lange? Erst mal sei „eine Interimszeit von neun Monaten“ vereinbart worden, so Behördensprecher Sebastian Panknin. In dieser Zeit wolle die Behörde den Markt erneut sichten. Was die Stadt der Post bezahlt, will Panknin nicht verraten. Nur so viel: „Der Preis liegt unter dem Jurex-Preis.“ Längst ist die Post AG in den Dumping-Wettbewerb eingestiegen. So hat der weltweit expandierende Konzern in Düsseldorf eine Konkurrenzfirma aufgekauft, bei der die Briefträger zum Teil nur 6,65 Euro brutto die Stunde verdienen. Auch die eigenen Beschäftigten geraten zunehmend unter Druck: 33.500 Vollzeit-Arbeitsplätze hat die Post seit 1999 abgebaut. Wenn der Bund das ehemals staatliche Unternehmen nicht vor der Billigkonkurrenz schütze, so die Drohung von Konzern-Chef Klaus Zumwinkel, gingen bis zu 32.000 weitere Jobs verloren. Die Deutsche Post AG rüstet sich für die bevorstehenden Auseinandersetzungen. Das neuste Zauberwort heißt „Zustellen in kompakten Gebieten“ – und verschleiert nach Einschätzung von Werner Gutknecht, Regionalvorsitzender der Post-Gewerkschaft DPVKOM, „eine ganz fiese Nummer“: Neue Mitarbeiter würden mit Halbtagsverträgen auf Touren geschickt, „die 25 bis 26 Stunden erfordern“. Die Überstunden würden mittels eines Zusatz-Vertrages vergütet. Die Konsequenz: Werde der Postbote krank oder mache Urlaub, bekomme er das nur auf Basis des Halbtagsvertrags bezahlt. „Das ist Lohndrückerei, die rechtlich unzulässig ist“, schimpft Gewerkschafter Gutknecht, der gerne gegen diese Praxis klagen will. Problem: „Viele trauen sich nicht, die werden ja erst mal nur befristet eingestellt.“ Wie die Zukunft von Briefträgern im schlechtesten Fall aussehen könnte, zeigt das Beispiel Jurex Mail Berlin. Dort durften sich Langzeitarbeitslose mit 15-Wochenstunden- Verträgen etwas Geld hinzuverdienen. Dass sie zum Teil Überstunden ohne Ende machten, weil sie 40 bis 60 Kilometer am Tag mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren mussten, interessierte niemanden. Statt eines Festgehalts zahlte ihnen ihr Arbeitgeber einen „Stücklohn“: 12 Cent bekamen die Postboten pro ausgetragenen Brief. Das Problem aber war: Es gab zu wenig Briefe für zu viele Zusteller. Einer, der gelernt hat, was das bedeutet, ist Jürgen Schwann. Am Monatsende, so der gelernte Bäcker, hatte er selten mehr als 50 Euro Lohn in der Tasche.

Uli Jonas

Hamburger Modell
Mit diesem Programm fördert die ARGE die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen. Zehn Monate lang bekommen Arbeitgeber, die einen Arbeitslosengeld-II-Empfänger einstellen, 250 Euro (Vollzeitstelle mit 35 Wochenstunden und mehr) bzw. 125 Euro (15 bis 35 Stunden Wochenstunden) Lohnkostenzuschuss. Der vormals Arbeitslose bekommt die gleichen Summen ausbezahlt und kann zudem für bis zu 2000 Euro weiterqualifiziert werden. Gefördert werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse mit einem Brutto-Monatseinkommen zwischen 401 und 1700 Euro. Mehr Infos unter www.team-arbeit-hamburg.de

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