„Auch wir bringen was!“

Schüler einer neunten Hauptschulklasse haben ein Buch geschrieben, um Hauptschülern bei der Jobsuche zu helfen

(aus Hinz&Kunzt 169/März 2007)

„Viele denken, wir Hauptschüler können sowieso nix. Und deshalb haben wir dieses Buch geschrieben.“ Sagt Natalie Adamiec und steckt sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Vor ihr liegt ein Buch. Das Buch! Geschrieben von einer neunten Hauptschulklasse aus Lurup. Mit sanfter Unterstützung durch den Job Club Altona. Das Ziel: Hauptschüler helfen Hauptschülern bei der Berufsfindung wie der Lehrstellensuche – und helfen sich zugleich selbst.

„Es ist doch besser, wenn Hauptschüler für Hauptschüler schreiben, als irgendwelche Leute, die das selber nicht durchgemacht haben“, sagt die 16-jährige Natalie mit Nachdruck. Und meint damit, dass man ihnen nichts zutraut, dass für sie kaum attraktive Berufe übrig bleiben würden.

Akribisch haben die Schüler recherchiert, welche Berufe überhaupt in Frage kommen (70 nämlich) und welche Voraussetzungen ein Bewerber erfüllen muss. Doch das Wichtigste sind die Interviews. Wo immer es möglich war, haben sie in kleinen Gruppen mit Inhabern und Ausbildern von Betrieben und Geschäften persönlich gesprochen. Wollten etwa wissen, wie schwer man körperlich als Floristin zupacken muss und wie die Zukunftsaussichten für Fahrzeuglackierer tatsächlich sind. Natalie selbst ist das Fragen anfangs nicht leicht gefallen. Doch das Überwinden hat sich gelohnt: „Nach den Interviews habe ich gemerkt: Jeder aus meiner Klasse konnte das. Jeder hat Selbstbewusstsein gewonnen; auch ich, ganz stark.“ Und sie schließt: „Durch dieses Buch haben wir gemerkt, dass wir gar nicht so unnützlich sind, sondern dass wir auch was bringen.“

Einer, bei dem die Schüler nachfragten, ist Christoph Drave von der Stadtbäckerei Drave in Schenefeld. Er kennt aus Erfahrung die Probleme von Hauptschülern; weiß auch, dass sie sich oft nur wenig unter bestimmten Berufen vorstellen können. „Die Schüler werden gut beraten, wenn es um das Erstellen einer Bewerbungsmappe geht. Aber die weiteren Schritte sind oft sehr unbedacht“, zieht er Bilanz.

Er war daher recht angetan, als die Schüler ihre ersten Fragen stellten: „Ich hatte mich ehrlich gesagt auf banale Fragen eingestellt, aber die waren richtig gut vorbereitet. Man hat gemerkt, die machen das nicht nur, weil sie es machen müssen, sondern weil es sie interessiert.“ Motiviert sein, wirklich etwas wollen – für ihn der Schlüssel zum Erfolg. Und deshalb klappte es auch mit Evgenij Huhn, einem der Schüler, der bei dem Gespräch dabei war – und der heute bei ihm in der Backstube steht.

„Mich hat das gleich interessiert“, erzählt Evgenij, „besonders weil man hier mit Lebensmitteln arbeitet, mit Teig und Kuchen und Brötchen.“ Und er fragte, ob er ein Praktikum machen könne. Konnte er. Mit Folgen: „Er hat sich hier so toll gemacht und so begeistert eingebracht, dass es keine große Frage mehr war, ob wir ihm eine Lehrstelle geben; auch wenn es viele Bewerber gab“, sagt Christoph Drave.

Einfach ist der Beruf nicht. Die Anfangszeiten! Drei Uhr war es heute, halb drei wird es morgen sein. Um 20 Uhr liegt der 17-Jährige im Bett. Evgenij zuckt mit den Achseln: „Man gewöhnt sich daran.“ Und der Vorteil: „Ich mache Schluss, wenn die anderen grad zur Arbeit gehen.“

Nicht alle haben ihm das zugetraut: „Meine Freunde meinten: ‚Hallo, früh aufstehen, das schaffst du doch gar nicht.‘ Doch als ich’s dann schaffte, waren sie stolz auf mich.“ Auch seine Mutter war zunächst nicht überzeugt, wie das gehen wird: „Aber als ich dann die Lehrstelle bekam, hat sie sich sehr gefreut.“ Sie hat einen guten Grund, sich weiterhin zu freuen: Evgenij bringt jeden Morgen frische Brötchen mit.

Frank Keil

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