Von Piraten und Vampiren

Ludwig von Otting, Geschäftsführer des Thalia Theaters, hat eine Piratengeschichte geschrieben – unter Pseudonym. Das Buch gilt als Geheimtipp in der Kinderbuchszene

(aus Hinz&Kunzt 162/August 2006)

Mit „Der Schrecken der Meere“ hat Kinderbuchautor Ludwig von Otting ein furioses Debüt hingelegt, allerdings unter Pseudonym. Der Geschäftsführer des Thalia Theaters erfand sich unter dem Alias Leuw von Katzenstein ein anderes Aussehen, eine neue Identität. Dabei ist die Lebensgeschichte von Ottings mindestens genauso spannend wie die seines erfundenen skurrilen Autors Katzenstein. Hinz&Kunzt sprach mit beiden, dem realen und dem fiktiven Autor.

Eine Kindheit auf Schlössern

H&K:Herr von Otting, wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Ludwig Graf von Otting: Oh Mann, … ich bin in meiner Branche ein erfolgreicher, respektierter Manager. Ich hab mir eine starke Autorität antrainiert und übe einen Beruf aus, in dem man für einen Machtmenschen gehalten wird, weil ich viel hierarchische Gewalt einsetzen muss. Die Kunst entzieht sich im Kern dem rationalen Zugriff. Es ist nicht einfach, etwas vollkommen Irrationales in rationale Bahnen zu lenken und es dabei irrational sein zu lassen. Die Kunst darf durch die Produktionsbedingungen nicht beschädigt werden. Das ist mein Job: nicht verhindern, sondern ermöglichen.

H&K:Wie sind Sie zum Theater gekommen, Sie haben doch Jura studiert?

Otting: Ich habe mich am ersten Tag des Studiums in eine Schauspielerin verliebt. Ich kannte kaum Jurastudenten, aber alle Schauspieler in Hamburg. Ich habe Hospitanzen im Schauspielhaus gemacht und wurde relativ schnell als Regieassistent engagiert. Als ich mal kein Angebot hatte, hab ich das zweite Staatsexamen gemacht und danach ein Angebot von Jürgen Flimm bekommen, nach Köln zu gehen. Der fand ich könnte ihm als Jurist und mit meiner Erfahrung am Theater als regieführender Direktor den Rücken frei halten. Das mach ich im Prinzip bis heute. Ich habe einen unglaublich ereignisarmen Berufsweg.

H&K:Wie war Ihre Kindheit, haben Sie im Schloss gelebt?

Otting: Ich habe sechs Internate hinter mir. Mein Vater war ein bayerischer Adeliger, meine Mutter eine Augsburger Bibliothekarin. Meine Mutter ist eine extrem starke Person, die die Familie mit ihren 90 Jahren voll im Griff hat. Mein Vater ist schon lange tot. Er war ein sehr gebildeter, hoch musischer, hoch unterhaltsamer, in Gesellschaften extrem geschätzter, witziger, mit besten Manieren versehener, völlig lebensuntauglicher Mensch. Er hatte viel Kontakt zu Intellektuellen, aber wenig zu Standesgenossen. Ich habe Monate meiner Kindheit auf Schlössern bei Verwandten verbracht. Mein Vater war auf null verarmt. Der hätte Hinz&Kunzt verkaufen können. Er war mal Millionär und hat alles supergut um die Ecke gebracht. Als Vater der Komplettausfall, als Ehemann das reine Desaster. Aber ein spannender Mann. Ich wurde statt in einer Wiege in einer ausgezogenen Schublade schlafen gelegt – aber standesgemäß, in einer Barockkommode.

H&K: Wird der „Schrecken der Ozeane“ demnächst am Thalia aufgeführt?

Otting: Ich will nicht am Thalia meine versäumte Künstlerbiografie nachholen. Das Schreiben ist für mich Privatvergnügen. Da mischen sich die Alltagserlebnisse mit seltsamen Fantasien, aber ich ziehe einen dicken Trennungsstrich zu meinem Arbeitsplatz im Büro.

Vom Parkwächter zum Revuetheater

H&K: Herr von Katzenstein, wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Katzenstein: Ich bin ein Menschenliebhaber, ein großer Frauenliebhaber. Ich habe viel erlebt auf seltsam krummen Lebenswegen. Bin so einer mit viel Erfahrung, der wenig glaubt und wenig traut. Ich war oft verheiratet, komme aber jetzt sehr gut mit mir allein zurecht.

H&K:Ist Ihnen Ihr Adelstitel wichtig?

Katzenstein: Ich verleugne meine Herkunft nicht, die kaputt genug ist als Spross eines runtergekommenen Adelsgeschlechts. Ich habe keine Attitüden. Mein Vater hatte ein Alkoholproblem, hat das ganze Vermögen durchgebracht. Ich bin trotzdem mehrsprachig aufgewachsen, spreche Deutsch, Latein, Holländisch und Baltisch. Durch die vielen Internate bin ich aber ohne Bindung.

H&K: Der Held Ihrer Geschichte „Der Schrecken der Ozeane“ ist ein Rabe. Welche Beziehung haben Sie zu Vögeln?

Katzenstein: Ich liebe Vögel, die so ähnlich unspektakulär sind wie ich, den kleinen Spatzen und den zerzausten Raben.

H&K:Wie wohnen Sie?

Katzenstein: n einer viel zu kleinen Mietwohnung, in der ein paar alte Möbel von Vorvätern stehen, dringend restaurierungsbedürftige Barockmöbel. Der Rest dessen, was mein Vater nicht versoffen hat.

H&K:Planen Sie ein neues Buch?

Katzenstein: Es ist schon fertig und wartet bei meiner Lektorin darauf gelesen zu werden. Es geht um die Liebe eines Vampirs.

H&K:Wann erscheint es?

Katzenstein: Keine Ahnung. Im Moment rührt sich im Verlag keiner, aber die wären ja dumm, wenn sie nicht nach dem Buckelbert-Erfolg was nachlegen.

H&K:Sind Ihre Bücher nicht ziemlich harte Kost für Kinder? Ich denke da an die abgeschlagenen Piratenköpfe und nun ein Vampir?

Katzenstein: Entschuldigen Sie mal! Bei Grimms Märchen wird die Hexe in den Ofen geschmissen und verbrannt, da bringt die böse Stiefmutter das Schwesterchen um, sie schleicht sich ins Bad, macht unter der Wanne Feuer …, also da wird man ja wohl ein paar Piratenköpfe übers Wasser tanzen lassen dürfen, oder? Man kann Kindern ruhig mehr zutrauen.

Petra Neumann

Ludwig Graf von Otting wurde 1949 in München geboren, machte 1975 sein erstes juristisches Staatsexamen und arbeitete danach als Regieassistent am Schauspielhaus Hamburg. 1979 folgte das zweite Staatsexamen, bevor er mit Jürgen Flimm zum Schauspiel Köln ging. Seit 1992 ist von Otting sehr erfolgreich als Geschäftsführer und künstlerischer Betriebsdirektor beim Thalia Theater tätig.

Leuw von Katzenstein wurde 1949 als Sohn einer flämischen Bibliothekarin und eines baltischen Adligen geboren. Es folgte eine standesgemäße Erziehung in sechs Internaten. Nach vielen beruflichen Rückschlägen verdingte er sich als Parkplatzwächter, bevor er unlängst Chefbuchhalter eines Revuetheaters in der Nähe von Buxtehude wurde. Katzenstein ist Vater von sieben Kindern.

Zum Buch: Buckelbert, der Blutige, der „Schrecken der Ozeane“, erlebt mit seinem Raben Friedrich aberwitzige Abenteuer auf den Weltmeeren. Auf der Suche nach einem unermesslichen Schatz erfindet er so nebenbei das Labskaus und lüftet das Geheimnis der Lachmöwen. „Der Schrecken der Ozeane“, Roman mit Illustrationen von Thomas M. Müller, 288 Seiten gebunden, ab zwölf Jahre, Beltz & Gelberg, 14,90 Euro. Die Geschichte gibt es auch als Hörspiel, gelesen vom Autor, Wolfgang Niedecken, Richard Rogler und anderen. Und eine Extra-CD mit Piratenliedern, bei Hörcompany für 22,90 Euro.

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