Vom Geben und Nehmen in der Krise

Die Hamburger Tafel ist unverzichtbar geworden. Jetzt kommt die Wirtschaftsflaute bei den Helfern an: Während immer mehr Menschen
um Lebensmittel bitten, gehen die Essensspenden zurück

(aus Hinz&Kunzt 193/März 2009)

„Die Kinder in Afrika haben gar nichts zu essen“, mahnten Eltern früher, wenn der Teller nicht leer gegessen wurde. Im Jahr 2009 ist „Afrika“ um die Ecke, Hunger und der Mangel am Nötigsten sind in Mitteleuropa, in Deutschland, in Hamburg angekommen. Immer mehr Arbeitslose, Rentner und Alleinerziehende kommen mit ihrem Budget nicht aus, sind auf die Unterstützung durch Lebensmitteltafeln angewiesen. Angesichts der enormen Zahl der Hilfebedürftigen stoßen Hilfsinitiativen an ihre Grenzen – zumal Essensspenden rarer werden.

Zwischen all den Armen fühlt er sich offensichtlich unwohl. Nervös dreht Marc F. sich eine Zigarette. Er wird heute bei der Lebensmittelausgabe der Elim-Gemeinde in Hamburg-Barmbek zum ersten Mal um Hilfe bitten und damit zugeben: Ich schaffe es alleine nicht mehr. Der 30-Jährige ist seit über einem Jahr arbeitslos. Er hat diesen schweren Gang immer wieder hinausgezögert. Jetzt steht er an diesem schneeverwehten Mittwochnachmittag doch hier, mit über 100 anderen, die ohne Hilfe nicht für sich sorgen können.
Marc F. hofft, zumindest so viele
Lebensmittel zu bekommen, dass sie ihm übers Wochenende reichen. Er hat einen Rucksack und Plastiktüten mitgebracht. Die Tüten wird er gar nicht brauchen, eine halbe Stunde später kommt er mit einem Baguette, etwas Salami und ein bisschen Salat wieder. Enttäuscht. Er hat sich mehr erhofft.
„Die Lieferung ist heute wieder besonders knapp“, sagt Peter Peter. Er organisiert in der Elim-Gemeinde die Ausgabe von Lebensmitteln, die die Hamburger Tafel bringt. Es gab Zeiten, da waren die Kisten und Kartons kreuz und quer im Foyer des Gemeindesaales gestapelt. Heute haben Bananen, Tomaten, Brot und Wurst bequem auf den Ausgabetischen Platz.
Die ehrenamtlichen Helfern können die Tüten der Bedürftigen immer weniger füllen – weil weniger Lebensmittel zur Verfügung stehen und gleichzeitig mehr Menschen
darum bitten.
Als die Elim-Gemeinde vor zwei Jahren mit der Ausgabe startete, kamen wöchentlich etwa 20 Menschen. Jetzt sind es bis zu 120. Noch mehr kommen zur Ausgabe in die Siedlung Osdorfer Born: Bis zu 600 Menschen versorgt die Stadtteildiakonie dort mit
Lebensmitteln der Hamburger Tafel. Schon im September vergangenen Jahres berichtete Hinz&Kunzt vom Ansturm auf Hamburgs Suppenküchen. Bis zu dreimal mehr warme Essen als noch vor einigen Jahren geben zum Beispiel die Aufenthaltsstätten Mahlzeit in Altona und das Cafée mit Herz in St. Pauli aus.
Dem Riesenbedarf sind die Lebensmittelausgabestellen und Tafeln kaum noch gewachsen – logistisch und auch weil die Spenden-situation sich verändert. „Manchmal kommen unsere Fahrer jetzt mit halbleeren Autos zurück, die waren mal randvoll“, sagt Annemarie Dose, Gründerin und Leiterin der Hamburger Tafel. Rund 20 Prozent weniger Lebensmittel bekommt die Tafel derzeit im Vergleich zum Vorjahr, so Dose.
Sie zeigt Verständnis dafür, dass viele Spender derzeit nicht so können wie sie wollen, und Bäcker etwa abends ihre Waren zum halben Preis verkaufen, statt sie zu verschenken: „Wenn jemand kurz vor der Pleite steht, ist es doch klar, dass der alles versucht, sich zu retten. Ich würde es genauso machen.
Dem hilft ja auch keiner, wenn er Insolvenz anmelden muss.“
Die Unterstützung durch Spender und Sponsoren sei immer noch sehr groß, sagt Matthias Mente vom Bundesverband Deutsche Tafel. Aber der Bedarf steige eben. Was die versorgten Bedürftigen angehe, haben die Tafeln im vergangenen Jahr die Eine-Million-Grenze „geknackt“. Tendenz steigend. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Initiativen vor Ort verdoppelt, auf 808. Die seien von dem Andrang der Bedürftigen manchmal überfordert, so Mente. „Es ist traurig, aber es kommt vor, dass Leute weggeschickt werden müssen.“ Oder dass, wie in Barmbek, die Tüten nicht mehr gefüllt werden können.
Die wirtschaftlich schwierige Situation erreicht einmal mehr auch die, die eigentlich schon am Limit leben. Dass es immer mehr Bedürftige gibt, führt dazu, dass aus Armen Allerärmste werden, um die sich auch eine Riesenbewegung wie die der Deutschen Tafeln nicht kümmern kann. Und nicht will. „Die Tafeln bieten mit einem bemerkenswerten bürgerschaftlichen Engagement Unterstützung auf privater Basis. Aber wir wollen uns vom Staat nicht als Grundversorger instrumentalisieren lassen“, sagt Matthias Mente. Längst sind es nicht mehr nur Obdach- und Wohnungslose, die sich kostenlos oder gegen einen symbolischen Betrag Lebensmittel holen.
Alle Altersstufen und Bildungsschichten trifft man bei den Ausgabestellen. „Besonders traurig finde ich es, wenn Rentner herkommen. Die haben ihr ganzes Leben hart gearbeitet und müssen jetzt um Almosen bitten“, sagt Jaqueline Booth. Die 43-jährige Alleinerziehende und ihr 13-jähriger Sohn sind seit etwa einem Jahr auf die Lebensmittel angewiesen, die die Elim-Gemeinde in Barmbek ausgibt. „Früher habe ich mein eigenes Geld verdient und konnte für uns sorgen“, sagt die gelernte Altenpflegerin. Die Hemmschwelle, zur Tafel zu kommen, sei groß gewesen, „aber mittlerweile schäme ich mich nicht mehr“.
Ist es gesellschaftsfähig geworden, zur Armentafel zu gehen? „Ja“, sagt Marc F., „sonst wäre ich ja nicht gekommen. Sind ja ganz normale Leute hier.“

Beatrice Blank

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