Von hundert auf null

Als sein Internet-Unternehmen abstürzte, musste er 140 Mitarbeiter entlassen. In Hinz&Kunzt schildert Wolfgang Macht, Gründer der „Netzpiloten“, wie er als Chef sich dabei fühlte

(aus Hinz&Kunzt 157/März 2006)

Die Geschichte beginnt 1998 in einer kleinen Wohnung im Schanzenviertel. Junge Leute erarbeiten sich das Internet und entwickeln eine Geschäftsidee nach der nächsten. Einer von ihnen ist Wolfgang Macht, einer der Gründer und Chefs der Netzpiloten; eines jener Internet-Unternehmen, die Ende der Neunziger für Furore sorgen.

Die Newcomer werden gehört. Das Geschäft brummt. Bald eröffnen die Netzpiloten erste Auslandsbüros, wie selbstverständlich jettet Wolfgang Macht zwischen San Francisco, Spanien und Paris hin und her. Einstellung folgt auf Einstellung. Innerhalb kürzester Zeit beschäftigt die Firma, die Software für Website-Betreiber schreibt, mehr als 140 Mitarbeiter. „Wir saßen Ende 2000 zusammen und wussten nicht: Wird es so weitergehen? Wird das Tempo noch anziehen? Werden wir noch mehr Leute werden?“, erinnert sich Macht.

Fragen, die sich schon ein paar Monate später erübrigen. Die Branche kriselt. Die Umsätze brechen ein. Der Investor, der groß einsteigen will, lässt es lieber. Mit einem Mal ist Schluss. „Das war völlig anders als bei einem klassischen Unternehmen“, erzählt Macht, „bei dem so ein Prozess ganz langsam geht: Man kann keine neuen Leute mehr einstellen; man kann Stellen, die frei werden, nicht wieder besetzen; bis es dann zu ersten Entlassungen kommt.“ Der Absturz von hundert auf null dauert in seinem Fall nur wenige Wochen.

Die Netzpiloten sind beileibe nicht die Einzigen, denen es so ergeht. Überall kursieren brancheninterne Geschichten: gesperrte PCs, Entlassungen per Brief oder gleich per E Mail. Das kommt für Macht nicht in Frage: „Eine Entlassung ist immer etwas hoch Persönliches. Warum ich? Warum ich und nicht der andere? Klar kann man das immer begründen über soziale Kriterien wie Betriebszugehörigkeit. Aber es bleibt der Schock für jeden einzelnen.“

Auf Vollversammlungen klärt Macht die Belegschaft auf. Drei Entlassungswellen muss er verantworten. Jedes Entlassungsgespräch führt er einzeln, auch wenn es nur darum geht, das Unvermeidliche zu sagen – persönlich. Und er delegiert es nicht an einen Personalchef. „Ich würde mir heute nicht verzeihen, hätte ich damals gesagt: Ach herrje, ich schaffe es zeitlich einfach nicht, so irrsinnig erschöpft wie ich bin.“ Nur ein kleines Grüppchen bleibt übrig: Wolfgang Macht, sein Geschäftspartner Matthias Dentler sowie fünf Mitarbeiter. In einem kleinen Büro machen sie weiter.

Denn es ist zugleich die Glaubenskrise einer Branche und einer Generation. Saß man nicht eben noch zusammen, jung, hoch motiviert, kreativ, arbeitswütig und vom Erfolg überwältigt? „Jeder Siemens-Manager wollte doch mit uns reden, um herauszufinden, ob wir etwas wissen, was er nicht weiß“, erinnert sich Macht. Mit einem Mal ist auch das vorbei: „Jetzt hieß es: Ach, ihr wart doch nur die bunten Hunde, habt Ideen gehabt, eine Menge Geld ausgegeben und es doch nicht gepackt.“ Sie wollen es aber packen. Sie wollen wissen: Kann man mit dem Internet wirklich kein Geld machen? Haben wir uns so geirrt?

2004 sind die Netzpiloten überm Berg. Mittlerweile zählt das Unternehmen wieder an die 40 Mitarbeiter. Und Wolfgang Machts Stimme klingt hörbar erleichtert. Keinesfalls trauert er alten Zeiten hinterher; auch nicht denen des Höhenfluges: „Wir haben jeweils nur reagiert. Erst konnten wir nicht Nein zu all den Angeboten sagen, so wie wir später zu allem Ja sagen mussten, um zu überleben.“ Heute genießt er das ruhigere Arbeitstempo und dass er nicht von acht bis acht vor Ort sein muss, vieles per E-Mail in die Wege leiten kann. „Wir sind erwachsen geworden“, sagt Wolfgang Macht, „eigentlich eine ganz normale Firma, nur dass wir davon leben, dass unsere Mitarbeiter hoch flexibel arbeiten und wir dreifach prüfen, ob wir jemanden Neues dazuholen können.“ Einige von denen, die damals gehen mussten, sind wieder mit dabei. Die ersten haben unlängst ihr Firmenjubiläum gefeiert.

Unternehmensdaten wollten die Netzpiloten Hinz&Kunzt leider nicht zur Verfügung stellen

Autor:Frank Keil

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