Ärzte gegen Tierversuche

Hinz&Kunzt: Warum legen die Wissenschaftler so großen Wert auf Tierversuche?
Corina Gericke: Die Tierversuche haben sich Mitte des 19. Jahrhunderts etabliert und halten sich immer noch als Standardmethode. Wir leben im Zeitalter von Mikro­chips und Internet. Die Technik entwickelt sich rasend schnell fort, aber in der biomedizinischen Forschung setzt man noch auf Methoden aus dem vorletzten Jahrhundert. In unserer Datenbank haben wir 4000 Tierversuche dokumentiert, darunter viele vollkommen absurde. So wurde untersucht, wie lange Möwen hungern können. Ein weiterer Grund ist, dass viel Geld dahintersteckt: Da sind die Firmen, die Tiere, Futtermittel, Käfige und Zubehör vertreiben, und nicht zuletzt Wissenschaftler, die Forschungsgelder einwerben wollen. Man bekommt immer noch erheblich mehr Forschungsgelder, wenn man Tierversuche macht. Moderne tierversuchsfreie Forschungsmethoden werden dagegen nur spärlich gefördert.

H&K: Oft wird gesagt, man brauche Tierversuche, um Medikamente zu entwickeln. Warum ist das ein Trugschluss?
Gericke: Mit den sogenannten „Tiermodellen“, wie die Tiere von Experimentatoren genannt werden, so als seien es leblose Objekte, sollen Krankheiten des Menschen nachgeahmt werden. Die Tiere werden künstlich krank gemacht. Bei Mäusen wird zum Beispiel eine Hirnarterie verstopft, um einen Schlaganfall auszulösen, oder bei Ratten wird Diabetes durch Injektion eines Giftes ausgelöst, das die Bauchspeicheldrüse zerstört. Dann wird versucht, die Tiere durch Medikamente wieder gesund zu bekommen. Das gelingt sogar oftmals, aber die Übertragung auf den Menschen funktioniert dann doch nicht. Es kann auch gar nicht funktionieren, weil viel zu viele unterschiedliche Dinge dabei eine Rolle spielen: Alter, Lebensweise, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten usw. Man kann eben nicht von Mäusen auf Menschen schließen. In jedem Fall muss deshalb ein Medikament vor der Zulassung an menschlichen Versuchspersonen getestet werden. Bei dieser klinischen Prüfung fallen 92 Prozent der tierversuchserprobten Medikamente durch, entweder weil sie beim Menschen nicht wirken oder weil sie schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Aber selbst Wirkstoffe, die es bis zur Marktreife schaffen, sind längst nicht sicher. Immer wieder müssen Arzneimittel wegen schwerwiegender, oft tödlicher Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden.

H&K: Wie kann man denn neue Medikamente entwickeln und testen?
Gericke: Viele Eigenschaften wie Giftigkeit, krebsauslösende oder erbgutverändernde Wirkungen lassen sich zum Beispiel mit Zellkulturen aus menschlichen Zellen untersuchen. Die Wirkung von Medikamenten kann mit Mikrochips im Detail beobachtet werden, um hier nur zwei Beispiele zu nennen. Und obwohl dieser Zweig der Forschung so wenig gefördert wird, gibt es bereits eine Fülle an hochentwickelten tierversuchsfreien Methoden, die im Gegensatz zum Tierversuch für den Menschen relevante Ergebnisse lie­fern.

H&K: Tierversuche gibt es ja auch zu kosmetischen Zwecken.
Gericke:
In Hamburg denke ich da vor allem an Botox. Die Hamburger Firma LPT betreibt das einzige Labor in ganz Deutschland, wo die berüchtigten Botox-Tierversuche gemacht werden. Botox wird auch für medizinische Zwecke eingesetzt, zum Beispiel für Schiefhals, aber eben zum großen Teil „off label“ für kosmetische Zwecke verwendet. Damit wird am meisten Geld verdient. Botox wird im Auftrag der Frankfurter Firma Merz nicht einmalig, sondern routinemäßig immer wieder an Mäusen getestet, um festzustellen, ob die Verdünnung stimmt. Das Gift wird Gruppen von Mäusen in die Bauchhöhle injiziert. Die in der Kosmetik bei der Faltenbildung erwünschten Lähmungserscheinungen führen zum grausamen Ersticken bei vollem Bewusstsein. Je mehr Botox verbraucht wird, desto mehr Mäuse müssen also leiden und sterben. Allein bei der Firma LPT leiden und sterben mindestens 34.000 Mäuse jährlich, weltweit mindestens 600.000.

Interview: Sybille Arendt

Ärzte gegen Tierversuche ist eine Vereinigung von mehreren Hundert Ärzten, Tierärzten, Naturwissenschaftlern und Psychologen. Weitere Informationen unter: www.aerzte-gegen-tierversuche.de

Am 30. April, dem Internationalen Tag zur Abschaffung der Tierversuche, organisiert der Verein eine Demo durch die Hamburger Innenstadt, mit Infoständen und Musik.
Treffpunkt: Gerhart-Hauptmann-Platz, Demo ab 12 Uhr,Infostände von 10–17 Uhr

Wenn der Staat sich irrt

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(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)

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Komponist Franz Wittenbrink packt mit seinen populären Liederabenden Themen an, bei denen jeder mitreden kann, denn zu „Männern“, „Sekretärinnen“ oder „Müttern“ haben schließlich alle eine Meinung. Sein neues Stück beschreibt die Macken und Verschrobenheiten von Eltern.

(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)

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(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)

Radikal anständig

Darf man Tiere essen, wenn man Tierschutz ernst nimmt? Autorin Karen Duve hat ausprobiert, wie weit sie für ihre Tierliebe gehen würde. Ihr Buch „Anständig essen“ dokumentiert ihren Selbstversuch – mit allen Zweifeln, Rückschlägen und der Erfahrung, dass Veränderungen mühsam, aber möglich sind.

(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)

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(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)

Altonas neue Mitte

Im Zentrum von Altona entsteht ein neuer Stadtteil. Die Bürger sollen an der Planung beteiligt werden. Doch das ist gar nicht so einfach.

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(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)