„Unbürokratisch und einfach“

Volkswirt Thomas Straubhaar will ein bedingungsloses Grundeinkommen

(aus Hinz&Kunzt 163/September 2006)

Der Volkswirt Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen. Jedem Bürger – egal was er verdient – sollen etwa 620 Euro pro Monat ausgezahlt werden. Dieses Existenzminimum ersetzt alle Sozialleistungen des Staates.

Hinz&Kunzt: Herr Professor Straubhaar, wären Sie heute Morgen ins Institut gekommen, wenn Ihnen der Staat sowieso jeden Monat Geld überweist?

Thomas Straubhaar: Aber sicher. Wie bei den meisten zufriedenen Menschen ist das Einkommen sicher ein wichtiger, aber nicht der alles entscheidende Grund, weswegen ich arbeite. Bei meiner Arbeit tue ich Dinge, die ich gerne mache. Sie ist eine Quelle der sozialen Anerkennung, weil in der Gesellschaft Arbeit einen hohen Stellenwert hat.

Hinz&Kunzt: Umso schwerer ist zu verstehen, warum der Staat Ihnen noch mal 620 Euro monatlich geben soll – das Geld könnten andere besser gebrauchen.

Straubhaar:Der Grund ist ganz einfach: Gibt der Staat allen gleich viel, erspart er sich automatisch jegliche Kontrolle, jegliche Erfassungskosten, jegliche Bürokratie. Heute müssen Sie erst mal klären: Ist das jetzt ein gut verdienender Professor, ein gut verdienender Angestellter, ein schlecht verdienender Angestellter, ein Arbeitsloser? Bürokratiekosten, die es bei einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht gibt.

Hinz&Kunzt: Aber ist das nicht ungerecht? Sollte nicht der Starke dem Schwachen helfen?

Straubhaar:Das bleibt weiterhin so. Kurz gesagt ist das Grundeinkommen für mich als Gutverdiener nichts anderes als ein Steuerfreibetrag. Schon heute habe ich in meiner Steuererklärung Freibeträge, die ich nicht versteuern muss. Beispielsweise Pauschalabzüge, die ich als Familienvater für meinen Haushalt machen kann.

In meinem System müsste ich für jeden Euro, den ich verdiene, Steuern zahlen. Entscheidend ist die Nettobelastung, also meine Steuerbelastung minus das Grundeinkommen. Und wenn man die ausrechnet, zahle ich natürlich viel mehr an den Staat, als ich bekomme. Es bleibt also eine Umverteilung von Reich nach Arm. Bloß mit viel weniger Verwaltungsaufwand.

Hinz&Kunzt: Finanzieren wollen Sie das, indem Sie einen einheitlichem Steuersatz für alle Einkommensgruppen einführen. Warum auch das Steuersystem verändern?

Straubhaar: sonst keine einfache, unbürokratische Handhabung erreicht wird. Bei unterschiedlichen Steuersätzen muss wieder abgeklärt werden: Ist das der erste, der hundertste, der tausendste, der millionste Euro, den ich verdiene? Dann muss ich eine Steuererklärung ausfüllen. Eine Flat Tax könnte direkt an der Quelle eingezogen werden, damit würde die Möglichkeit der Steuerhinterziehung abnehmen.

Hinz&Kunzt: Was machen die Leute, die einen schlechteren Job haben als Sie? Werden nicht viele ihre Arbeit aufgeben und vom Grundeinkommen leben?

Straubhaar: In jedem System gibt es Menschen, die lieber nichts tun und von der Hilfe anderer leben wollen. Dagegen ist in einem einigermaßen demokratischen, liberalen Staat schwer anzugehen. Niemand will Strafkolonien. Aber ich bin überzeugt, dass mit einem Grundeinkommen nicht mehr, sondern weniger Menschen sagen, das Geld reicht mir, ich bleibe jetzt zu Hause, vergammle, vereinsame. Mikroökonomische Untersuchungen zeigen, dass mit Arbeit eben viel mehr als nur ein Einkommen verbunden ist. Es geht auch um soziale Anerkennung, Lob, Kontakte, vielleicht Selbsterfahrung. Außerdem erfüllt mir der Staat ja nicht alle Wünsche, 620 Euro sind ein nicht gerade üppiges Existenzminimum, weil davon ja vom Essen über Kleidung und Wohnen ein Leben lang alles selber bezahlt werden muss. Und – aber das müssen Sie beurteilen – ich glaube es gibt außer Professoren durchaus noch andere Menschen, die mit ihrem Job zufrieden sind. Gottlob.

Hinz&Kunzt: Also sinkt mit einem Grundeinkommen nicht der Anreiz, einen schlechteren Job anzunehmen?

Straubhaar:Doch. Sie müssen den Job ja nicht machen, weil das Nötigste ja schon durch das Grundeinkommen finanziert ist. Deswegen muss der Arbeitgeber Ihnen einen höheren materiellen Anreiz bieten. Die Toiletten hier in meinem Institut müssen geputzt werden. Wenn Sie mir sagen, das machen Sie nicht, weil Sie nicht müssen, muss ich Ihnen mehr bieten. Und irgendwann biete ich so viel, dass ich jemanden finde, der es dann macht.

Hinz&Kunzt: Oder Sie erfinden einen Roboter, der die Toiletten putzt. Andere Jobs werden nach China verlagert. Irgendwann gibt es gar keine Jobs mehr für gering Qualifizierte – die sind dann völlig raus aus der Arbeitswelt, ob sie wollen oder nicht.

Straubhaar:Beim Toilettenputzen wäre es doch gar nicht schlecht, wenn das ein Roboter macht. Dem Job trauert niemand nach. Aber es gibt andere Beispiele. Wie Rollstuhl schieben: Da braucht es doch nicht einen Motor am Rollstuhl, das ist doch idiotisch. Meine Mutter wäre eines Tages froh, wenn sie statt von einem Motor von einem Menschen geschoben werden würde, der auch mit ihr redet. Und wenn Sie sagen, viele Niedriglohntätigkeiten gehen nach China, das stimmt für den industriellen Bereich. Aber eben nicht für meine Mutter. Die, hoffe ich, bringen wir nicht nach China.

Um vergleichsweise einfache Jobs anzunehmen, schaffe ich einen großen Anreiz. Von jedem Euro Bruttoeinkommen bleiben, einen Steuersatz von 33 Prozent unterstellt, 66 Cent netto in Ihrer Tasche. Ich könnte Sie nicht für jedenBetrag gewinnen, unangenehme Arbeit zu machen, weil Sie ja nicht mehr existenziell auf einen Job angewiesen sind. Ihre Marktmacht steigt also. Aber bei vielen Berufen werden die Bruttoarbeitskosten zurückgehen – schließlich werden die Menschen arbeiten wollen und hätten netto inklusive Grundeinkommen trotzdem genug in der Tasche. Gerade im Niedriglohnsektor, der ja das deutsche Sorgenkind ist, werden mehr Menschen bereit sein zu arbeiten. Vielleicht werden sie völlig anders arbeiten als in der Vergangenheit, vielleicht nicht rund um die Uhr und ein Leben lang dasselbe, vielleicht als Gelegenheitsarbeit, Teilzeitarbeit, vielleicht mit mehreren Jobs nebeneinander. All diese Dinge könnten viel unbürokratischer und einfacher gehandhabt werden.

Hinz&Kunzt: Ist ein so radikaler Systemwechsel wie das Grundeinkommen nicht nur eine Theorie, die politisch sowieso nie durchsetzbar sein wird?

Straubhaar: Warten wir ein paar Jahre ab, dann werden wir von den Fakten einfach dazu gezwungen sein. Das Existenzminimum müssen wir in Deutschland für alle sicherstellen, das ist glaube ich unstrittig, das ist sich jeder moderne Staat schuldig. Jetzt haben wir einen riesigen Kosten verschlingenden Verteilungs- und Kontrollapparat, und trotzdem bleibt bei der Rente und der Sozialhilfe oft nicht mehr als das Existenzminimum übrig – also muss man sich doch überlegen, wieso man das nicht einfacher macht?

Interview: Marc-André Rüssau

Dr. Thomas Straubhaar (49) ist Professor für Volkswirtschaft an der Uni Hamburg. Seit 1999 leitet der Schweizer außerdem das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI).

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