Hinz&Künztler Nicko : „Ich will zu dem stehen, was ich sage“

Nicko, 31, verkauft seit fünf Jahren Hinz&Kunzt.

Nicko will seine Alkoholsucht endlich besiegen.

(aus Hinz&Kunzt 239/Januar 2013)

Fünf Mal war Nicko schon auf Alkoholentzug – und hat immer wieder angefangen zu trinken. „Wegen der Gefühle“, sagt der 31-Jährige, der im Heim aufgewachsen ist. Ein Therapeut habe ihm das mal erklärt: „Wir Heimkinder fühlen mehr, wir sind da extremer. Weil wir nie Eltern hatten. Liebe gab es im Heim nicht. Deswegen habe ich nie gelernt, mit Problemen umzugehen.“

Mit 14 Jahren haute Nicko aus dem Heim ab. Er schlug sich in Holland durch. Alkohol wurde ein ständiger Begleiter. Mit 18 Jahren kam er für drei Jahre ins Gefängnis – wegen einer langen Liste von Vergehen, „Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Diebstahl, Körperverletzung“, sagt Nicko. Nach der Haftzeit zog er in eine Einrichtung für Haftentlassene, fand Freunde. „Da ging alles top. Ich habe mit Radsport und einer Schreinerlehre angefangen. Es war ein ganz neues Leben.“ Das neue Leben hält nicht lang: Zwei Jahre später hat Nicko die Lehre abgebrochen. Es folgen planlose Umzüge, von Kamen am Rande des Ruhrpotts ging es erst nach Celle und dann weiter nach Hamburg.

Hier landet Nicko erst im Winternotprogramm, dann in einem Männerwohnheim. Er verkauft Hinz&Kunzt und kämpft um ein geregeltes Leben. Nicko ist ein zuverlässiger, zupackender Typ. Er hat keine großen Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Er jobbt unter an- derem als Pflegehelfer, arbeitet in einem Imbiss und als Kurierfahrer. Aber er schafft es nicht, am Ball zu bleiben: „Ich kann nicht damit umgehen, wenn mich jemand kritisiert. Also wenn der Chef oder Kollegen mich nicht gut finden, dann schmeiß ich hin.“

Nicko bekommt schließlich eine Stelle hinter der Theke einer Kiezkaschemme. „Da habe ich dann mit dem Trinken richtig Gas gegeben. Wenn die Gäste einen ausgeben, dann bestimmt keine Cola.“ Im Sommer 2010 gibt Nicko sich erstmals einen Ruck und geht freiwillig in eine Entgiftung. In der Klinik lernt Nicko Nina kennen, auch eine Patientin. Nach dem Entzug zieht er zu ihr. Alles sieht gut aus.

So glücklich Nicko und Nina sich zeitweise miteinander fühlen, so heftig geraten sie an anderen Tagen aneinander. Klappt alles, trinken die beiden in Maßen. Gibt es aber Konflikte, kennt Nicko keine Grenzen. Noch zwei Mal geht er in den Entzug. Er wünscht sich „eine ganz normale Beziehung“. Nach einem besonders schlimmen Streit mit Nina im Sommer 2012 haut Nicko ab. „In der nächsten Zeit habe ich mich nicht einfach nur volllaufen lassen. Ich wollte mich plattmachen.“ Er schläft am Michel. Die ersten Tage findet er das „super“. „Aber dann kamen die Schmerzen. Ich habe mich selbst so gehasst – und den ganzen Tag Wodka getrunken. Dann lag ich auf der Straße und habe gehofft, dass mich einer überfährt.“

Morgens wacht Nicko irgendwo auf. Im Park oder unter einer Brücke. Immer wieder rufen Passanten den Rettungsdienst. Das weiß er aus Polizeiberichten und Arztbriefen. „Als ich die gelesen habe, habe ich gemerkt: Ich will nicht ster- ben.“ Nicko geht wieder auf Entzug. Er findet ein kleines Appartement, in das er nach dem Klinikaufenthalt zieht. „Das war gut: Nicht mehr draußen schlafen, nicht mehr tagsüber wie ein Zombie durch die Stadt irren. Ich war entschlossen, das Leben wieder anzupacken.“

Nicko dachte, auch die Beziehung mit Nina könnte wieder funktionieren. Aber: „Sie hatte vier Monate nichts von mir gehört. Sie dachte, ich wäre tot. Da wurde mir klar, was ich getan hatte.“ Selbsthass und Verzweiflung weiß Nicko nicht anders als mit Alkohol zu bekämpfen. „Ich habe mehr getrunken als je zuvor.“ Doch nach ein paar Wochen erinnert er sich: „Ich will nicht sterben. Ich bin noch jung. Ich will mich wieder im Spiegel angucken und dort jemanden sehen, der zu dem steht, was er sagt.“

Im November hat Nicko wieder einen Entzug gemacht. Er wartet jetzt auf einen Therapieplatz. Er steht auf einer Warteliste für eine Einrichtung für Alko- holkranke in Schwerin. So eine Langzeittherapie hat Nicko noch nie ge- macht. Er weiß nicht, was ihn erwartet. Aber er weiß ganz sicher: „Diesmal will ich es unbedingt schaffen.“

Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante