„Bitten Sie um eine geringere Miete“

Bei vielen Hilfeempfängern übernimmt die ARGE nicht mehr die vollen Mietkosten

(aus Hinz&Kunzt 171/Mai 2007)

Höchstens 318 Euro Miete darf ein alleinstehender Arbeitslosengeld-II-Empfänger für seine Wohnung zahlen. Wer darüber liegt, kann von der Arbeitgemeinschaft (ARGE) aufgefordert werden, die Mietkosten zu senken. Ob er sich genug bemüht hat, liegt im Ermessen seines Sachbearbeiters. Im schlimmsten Fall droht Obdachlosigkeit.

Seit Ingrid Maier (Name geändert) eine Mieterhöhung über 70 Euro bekommen hat, ist sie in Panik. Ihre Miete lag schon vorher leicht über der Obergrenze von 318 Euro: „Die ARGE wird mich bald auffordern, dass ich hier raus muss.“

Keine unberechtigte Angst: 4487 Mal forderte die ARGE nach eigenen Angaben im Jahr 2006 Hilfeempfänger auf, die Miete zu senken. Pro Monat kommen fast 400 neue Briefe hinzu. Treffen kann das jeden, der über dem Grenzwert liegt. Ob und wann es passiert, ist aber Glücksache: „Stichprobenartig“ würden die Mieten überprüft, so ARGE-Sprecher René Tollkühn.

Dabei ist gar nicht genau klar, wie sich ein Arbeitslosengeld(ALG)-II-Empfänger ausreichend um die Senkung der Miete bemühen kann. Tollkühn stellt ein paar Möglichkeiten vor: „Bitten Sie beispielsweise Ihren Vermieter, die Miete zu senken – das kann funktionieren, wenn er Sie als Mieter behalten will.“ Außerdem sei Untervermietung möglich. Verlangt werden könne auch, dass Hilfeempfänger die Immobilienteile nach günstigeren Wohnungen durchsehen. Oder dass sie regelmäßig Wohnungen besichtigen – und sich das am besten vom Makler quittieren lassen. „Eine Vorschrift, was ausreichend ist, gibt es nicht“, erklärt René Tollkühn, „das liegt im Ermessen des Sachbearbeiters.

Der Erfolg der Briefe ist bei der ARGE erstaunlich schlecht dokumentiert: Wie viele ALG-II-Empfänger daraufhin die Miete senken konnten, ist nicht bekannt. Denn laut Tollkühn geht es weniger um Kostensenkung als um Aktivierung der Kunden, wie ALG-II-Empfänger bei der ARGE heißen: „Wir wollen nur sehen, dass sie sich bemühen.“ Bei 1652 ALG-II-Empfängern konnten die Sachbearbeiter dieses Bemühen nicht erkennen. Und zogen daraus Konsequenzen: Sie kappten die Mietzahlungen auf die Obergrenze. „Darüber, wie die Menschen den Differenzbetrag aufbringen, haben wir keine Informationen“, so Tollkühn.

Die hat dafür Jurist Marc Meyer vom Verein „Mieter helfen Mietern“: „Manche leihen sich Geld von den Eltern, andere überziehen vielleicht ihr Konto. Oder es laufen Mietschulden auf.“ Die zusätzlichen Kosten aus dem ARGE-Regelsatz an anderer Stelle zu sparen, hält Marc Meyer für utopisch: „Der ist so schon zu knapp bemessen.“ Und wer es tatsächlich zu Mietschulden kommen lässt, riskiert eine Zwangsräumung durch den Vermieter.

Eine günstigere Wohnung zu finden hält Marc Meyer für aussichtslos: „Die Obergrenze ist deutlich unter dem Preis für eine durchschnittliche Hamburger Wohnung laut Mietenspiegel.“ Dazu kommt laut Meyer: Der Mietenspiegel bildet nur den Ist-Zustand ab. Wenn eine Wohnung neu angemietet wird, steigt die Miete erfahrungsgemäß.

Mietkostensenkung, eine Sisyphos-Arbeit, bei der die Hilfeempfänger letztlich auf das Wohlwollen des Sachbearbeiters angewiesen sind? „Der Druck, der hier auf die Menschen ausgeübt wird, ist immens und lässt viele verzweifeln“, erklärt die sozialpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion, Martina Gregersen.

Die GAL will deswegen die Mietobergrenze auf den Betrag anheben, den eine 45-Quadratmeter-Wohnung laut Mietenspiegel durchschnittlich kostet. Die Obergrenze für eine Person würde dann von 318 auf 358 Euro steigen. Die Kosten seien überschaubar, da über 90 Prozent der Hilfeempfänger in Wohnungen leben, die nicht zu teuer sind.

Auch die Diakonie fordert eine höhere Obergrenze: Es müsse sichergestellt werden, dass die günstigsten 20 Prozent des Wohnungsmarktes für ALG-II-Empfänger erschwinglich seien. Die Obergrenze müsse durch einen „Angebotsspiegel“ ermittelt werden, in den die Kosten neu angemieteter Wohnungen einfließen.

Auch das Bundessozialgericht entschied übrigens im November 2006, dass im Einzelfall geprüft werden müsse, ob günstigere Wohnungen tatsächlich zur Verfügung stehen.

Ingrid Maier will ihre Mieterhöhung nun anfechten lassen, mit Unterstützung von „Mieter helfen Mietern“. Die Beratungskosten hierfür übernimmt die ARGE.

Mietobergrenze

Zusätzlich zum Regelsatz (345 Euro) bekommen ALG-II-Empfänger Mietkosten bezahlt. Die Obergrenzen orientieren sich am Mietenspiegel von 2003. Demnach bekommt ein alleinstehender Hilfeempfänger in Hamburg höchstens 318 Euro inklusive Betriebskosten. Für zwei Personen sind es 409 Euro, drei Personen bekommen 499 Euro.

Marc-André Rüssau

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